Enzyklika

Das Evangelium vom Leben

Geistliche Betrachtungen zu den Enzykliken des hl. Johannes Pauls II. – Teil 24 Illustration Foto: Greg Rakozy / Unsplash (CC0) Am 25. März 1995 legte der hl. Johannes Paul II. die Enzyklika „Evangelium vitae“ vor – ein Bekenntnis, ja ein Manifest des Lebensschutzes. Der Papst erinnert daran, dass die Würde des Menschen unantastbar ist – vom Augenblick der Empfängnis bis in die Sterbestunde hinein. Ebenso verweist er auf die Unterscheidung von Gut und Böse. Selbstverständlich aus katholischer Sicht ist das scharfe Urteil über die Abtreibung, ebenso selbstverständlich ist der kategorische Ausschluss der Beihilfe zum assistierten Suizid, also der Sterbehilfe. Ist das heute – selbst unter Katholiken – noch selbstverständlich? Treten wir, ob gelegen oder ungelegen, für den Schutz des Lebens ein? Johannes Paul II. schreibt: „Das Evangelium vom Leben liegt der Botschaft Jesu am Herzen. Von der Kirche jeden Tag liebevoll aufgenommen soll es mit beherzter Treue als Frohe Botschaft allen Menschen jeden Zeitalters und jeder Kultur verkündet werden.“ Eine wahrhaft „messianische Freude“ verbinde sich mit der „Erfüllung der Freude über jedes Kind, das geboren wird“. Worin liegt die Berufung des Menschen? Johannes Paul II. spricht nicht von weltlicher Karriere, nicht von der Gefolgschaft gegenüber einer Agenda des Kommunismus, Kapitalismus oder Konsumismus. Ebenso wenig verweist er auf die existenzialistische Selbstverwirklichung von Plänen, Projekten und Wünschen: „Der Mensch ist zu einer Lebensfülle berufen, die weit über die Dimensionen seiner irdischen Existenz hinausgeht, da sie in der Teilhabe am Leben Gottes selber besteht. Die Erhabenheit dieser übernatürlichen Berufung enthüllt die Größe und Kostbarkeit des menschlichen Lebens auch in seinem zeitlich-irdischen Stadium. Denn das Leben in der Zeit ist Grundvoraussetzung, Einstiegsmoment und integrierender Bestandteil des gesamten einheitlichen Lebensprozesses des menschlichen Seins.“ Das Leben, das uns geschenkt ist, weist über die Wirklichkeit dieser Welt hinaus. Mann und Frau sind gerufen, das Leben, das ihnen geschenkt ist, zu lieben, im Bewusstsein darum, dass die Vollendung nicht auf Erden besteht, bestehen kann:  „In Wahrheit ist es nicht »letzte«, sondern »vorletzte« Wirklichkeit; es ist also heilige Wirklichkeit, die uns anvertraut wird, damit wir sie mit Verantwortungsgefühl hüten und in der Liebe und Selbsthingabe an Gott sowie an die Schwestern und Brüder zur Vollendung bringen.“ Johannes Paul II. spricht vom Naturgesetz, das dem Menschen „ins Herz geschrieben“ sei, so dass er den „heiligen Wert des menschlichen Lebens vom ersten Augenblick bis zu seinem Ende“ erkennen und bejahen könne. Ist uns diese Heiligkeit bewusst? Wer Sterbende begleitet in ihrem oft so langen und schmerzvollen Abschied von der Welt, mag sich vielleicht an liebe Angehörige erinnern, die nach schwerem Leid doch von einem großen Frieden in den letzten Augenblicken ihres Lebens gezeichnet waren. Die Momente, in denen wir nichts mehr tun können, als an der Seite der Sterbenden zu sein, sind kostbare Geschenke – wir spüren und erfahren die Heiligkeit des Lebens aus nächster Nähe. Wer Babys sieht oder das Glück hatte, die Geburtsstunde zu erleben, erinnert sich vielleicht an die eigenen Tränen und die Dankbarkeit für diesen Moment, an dem er teilhaben durfte. Mütter berichten immer wieder von der Schönheit der Schwangerschaft und von dem Glücksmoment, als sie das erste Mal die zarte Stimme ihres Nachwuchses hörten. Dieser „heilige Wert des menschlichen Lebens“ ist gegenwärtig, sichtbar und spürbar. Wir sind berufen, die Heiligkeit des Lebens zu achten, zu ehren und zu schützen. Johannes Paul II. spricht davon, dass das Recht jedes Menschen auf Leben „in höchstem Maße geachtet“ werden müsse: „Auf der Anerkennung dieses Rechtes beruht das menschliche Zusammenleben und das politische Gemeinwesen.“ Schmerzhaft bewusst wird Christen aller Konfessionen, die sich für den Lebensschutz einsetzen, dass eine neue Aufgeschlossenheit für Abtreibung und assistierten Suizid, also Sterbehilfe, zu bestehen scheint. Der heilige Papst widerspricht all dem und verweist energisch darauf, dass der Lebensschutz untrennbar mit der Frohen Botschaft verknüpft ist: „Das Evangelium von der Liebe Gottes zum Menschen, das Evangelium von der Würde der Person und das Evangelium vom Leben sind ein einziges, unteilbares Evangelium.“ Er macht auf ein „beunruhigendes Panorama“ aufmerksam – „mit den neuen, vom wissenschaftlich-technologischen Fortschritt eröffneten Perspektiven entstehen neue Formen von Anschlägen auf die Würde des Menschen, während sich eine neue kulturelle Situation abzeichnet und verfestigt, die den Verbrechen gegen das Leben einen bisher unbekannten und womöglich noch widerwärtigeren Aspekt verleiht und neue ernste Sorgen auslöst: breite Schichten der öffentlichen Meinung rechtfertigen manche Verbrechen gegen das Leben im Namen der Rechte der individuellen Freiheit und beanspruchen unter diesem Vorwand nicht nur Straffreiheit für derartige Verbrechen, sondern sogar die Genehmigung des Staates, sie in absoluter Freiheit und unter kostenloser Beteiligung des staatlichen Gesundheitswesens durchzuführen“. Was einst als „verbrecherisch“ angesehen worden sei, werde nunmehr „gesellschaftlich als achtbar betrachtet“. Johannes Paul II. diagnostiziert einen „schweren moralischen Verfall“: „Das Ergebnis, zu dem man gelangt, ist dramatisch: so schwerwiegend und beunruhigend das Phänomen der Beseitigung so vieler menschlicher Leben vor der Geburt oder auf dem Weg zum Tod auch sein mag, so ist die Tatsache nicht weniger schwerwiegend und beunruhigend, daß selbst das Gewissen, als wäre es von so weitreichenden Konditionierungen verfinstert, immer träger darin wird, die Unterscheidung zwischen Gut und Böse wahrzunehmen im Hinblick auf den fundamentalen Wert des menschlichen Lebens.“ Die Kirche, damit auch Sie und ich, sind berufen, für das Leben jedes Menschen einzustehen und den Versuchungen wie Verlockungen des tückischen, diabolischen Zeitgeistes zu widerstehen. Die Würde des Menschen ist unantastbar, von der Empfängnis bis in die Sterbestunde hinein. Quelle: CNA Deutsch,  10. July, 2021  Autor: Dr. Thorsten Paprotny

Das Evangelium vom Leben Weiterlesen »

Die Verantwortung der Bischöfe und Moraltheologen

Geistliche Betrachtungen zu den Enzykliken des hl. Johannes Pauls II. – Teil 23 Christus der Erlöser Foto: Robert Nyman / Unsplash (CC0) In „Veritatis splendor“ weist Johannes Paul II. darauf hin, dass die „ganze Kirche“ – somit auch Sie und ich – dazu berufen sind, an der Evangelisierung und am Zeugnis des Glaubenslebens teilzuhaben. Die Kirche müsse ihr Glaubensleben neu beleben, freilich nicht mithilfe zeitgeistlicher Irrlichter, sondern unter „Führung des Heiligen Geistes“. Die Theologen sind dazu bestellt, nicht ihre Privatideen zu verbreiten, sondern „in Gemeinschaft mit dem Lehramt ein immer tieferes Verständnis des Wortes Gottes, wie es in der inspirierten und von der lebendigen Tradition der Kirche getragenen Schrift enthalten ist, zu gewinnen“. Oft scheint es aber – vor 30 Jahren wie heute – so zu sein, als hätte sich die Theologie, die als katholisch firmiert, sich von Schrift, Tradition und vom Lehramt der Kirche gelöst. Eine Theologie, die sich gegen die Kirche stellt, weist der heilige Papst scharf ab: „Was wir über die Theologie im allgemeinen gesagt haben, kann und muß erneut für die Moraltheologie vorgetragen werden, insofern sie begriffen wird in ihrer Eigentümlichkeit als wissenschaftliche Reflexion über das Evangelium als Geschenk und Gebot neuen Lebens, über das Leben, das »von der Liebe geleitet, sich an die Wahrheit hält« (vgl. Eph 4, 15), über das heiligmäßige Leben der Kirche, in welchem die Wahrheit des zu seiner Vollendung gebrachten Guten glänzt. … Durch die Verkündigung der Gebote Gottes und der Liebe Christi lehrt das Lehramt der Kirche die Gläubigen auch konkrete Einzelgebote und verlangt von ihnen, sie gewissenhaft als sittlich verpflichtend zu betrachten. Außerdem übt das Lehramt ein wichtiges Wächteramt aus, indem es die Gläubigen vor möglichen, auch nur implizit vorhandenen Irrtümern warnt, wenn ihr Gewissen nicht dahin gelangt, die Richtigkeit und Wahrheit der vom Lehramt der Kirche gelehrten sittlichen Regeln anzuerkennen.“ Er mahnt die zuständigen Bischöfe, ihren Pflichten nachzukommen. Jeder Gläubige kann und darf von Theologen, die im Namen und im Auftrag der Kirche lehren, eine kirchliche Bindung erwarten: „Den Moraltheologen fällt die Aufgabe zu, die Lehre der Kirche darzulegen und bei der Ausübung ihres Amtes das Beispiel einer loyalen, inneren und äußeren Zustimmung zur Lehre des Lehramtes sowohl auf dem Gebiet des Dogmas wie auf dem der Moral zu geben. Den Moraltheologen wird es, wenn sie ihre Kräfte zur Zusammenarbeit mit dem hierarchischen Lehramt vereinen, ein Anliegen sein, die biblischen Grundlagen, die ethischen Inhalte und die anthropologischen Begründungen, auf denen die von der Kirche vorgelegte Morallehre und Sicht des Menschen aufruhen, immer klarer herauszustellen.“ Inmitten umgreifender „Gefahren des Relativismus“ separieren sich aber viele Moraltheologen von der Lehre der Kirche. Es ist die Aufgabe der Theologen und Bischöfe, als Verteidiger des Glaubens und der Moral ihre Stimme zu erheben. Es ist zudem auch jedem einzelnen Gläubigen, ob Theologe oder nicht, aufgetragen, treu zur Kirche des Herrn zu stehen. Johannes Paul II. schreibt: „Die Tatsache, daß manche Gläubige handeln, ohne die Lehren des Lehramtes zu befolgen, oder ein Verhalten zu Unrecht als sittlich richtig ansehen, das von ihren Hirten als dem Gesetz Gottes widersprechend erklärt worden ist, kann kein stichhaltiges Argument darstellen, um die Wahrheit der von der Kirche gelehrten sittlichen Normen zurückzuweisen.“ Zugleich erinnert der Papst die Bischöfe daran, die „Verantwortung gegenüber dem Glauben und dem Glaubensleben des Volkes Gottes“ wahrzunehmen: „Es ist unsere gemeinsame Pflicht und zuvor noch unsere gemeinsame Gnade, als Hirten und Bischöfe der Kirche die Gläubigen das zu lehren, was sie auf den Weg des Herrn führten.“ Dies sei auch ein Gebot der „pastoralen Liebe“: „Wir haben als Bischöfe die Pflicht, darüber zu wachen, daß das Wort Gottes zuverlässig gelehrt wird. Meine Mitbrüder im Bischofsamt, es gehört zu unserem Hirtenamt, über die getreue Weitergabe dieser Morallehre zu wachen und die passenden Maßnahmen zu ergreifen, damit die Gläubigen vor jeder Lehre und Theorie, die ihr widersprechen, geschützt werden. In dieser Aufgabe werden wir alle von den Theologen unterstützt; die theologischen Meinungen bilden jedoch weder die Regel noch die Norm für unsere Lehre. Ihre Autorität beruht, mit dem Beistand des Heiligen Geistes und in der Gemeinschaft cum Petro et sub Petro, auf unserer Treue zu dem von den Aposteln empfangenen katholischen Glauben. Als Bischöfe haben wir die schwerwiegende Verpflichtung, persönlich darüber zu wachen, daß in unseren Diözesen die »gesunde Lehre« (1 Tim 1, 10) des Glaubens und der Moral gelehrt wird.“ In der großen Enzyklika „Veritatis splendor“ hat der heilige Johannes Paul II. 1993 Antworten gegeben, die zu seiner Zeit nötig waren und bis heute hin fortwirken sowie erwogen und bedacht sein mögen. Wir sind umgeben von den Versuchungen des Relativismus, von verstörenden Signaturen der Zeit, umflutet von einer Fülle von kuriosen Privatmeinungen und säkularen Fantasien, die in den Raum der Kirche eingedrungen sind. Oft scheint es so zu sein, als hätten sich die einfach gläubigen Christen den klaren Blick für Glauben und Moral bewahrt. Manche fragen sich, ob die Hirten der Kirche noch führen – oder einige von ihnen selbst geführt werden müssten. Enzykliken wie diese schenken uns Wegweisung und Hoffnung auch in Zeiten der Anfechtung, der Irritation und der innerkirchlichen Nebelbildungen. Quelle: CNA Deutsch,  3. July, 2021  Autor: Dr. Thorsten Paprotny

Die Verantwortung der Bischöfe und Moraltheologen Weiterlesen »

Gewissen und Wahrheit

Geistliche Betrachtungen zu den Enzykliken des hl. Johannes Pauls II. – Teil 21 Klipper (Illustration) Foto: Allan C. Green / Wikimedia (CC0) Die am 6. August 1993 publizierte Enzyklika „Veritatis splendor“ liest sich in weiten Teilen wie eine substanzielle Kritik an den Signaturen der Gegenwart. In der deutschen Kirchenprovinz verbinden sich etwa hinsichtlich der Lehre des Gewissens subjektive Meinungen mit ökumenischen Absichten – ein Beispiel dafür bietet bedauerlicherweise der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Dr. Georg Bätzing. Der heilige Johannes Paul II. indessen hat energisch davor gewarnt, die Bindung von Freiheit und Gesetz über das sittliche und kirchlich gebildete Gewissen zu relativieren oder umzudeuten. Wer die Freiheit in „götzendienerischer Weise verherrlichen“ wolle, vertrete die „Auffassung vom sittlichen Gewissen als »schöpferische« Instanz, eine Auffassung, die sich von der überlieferten Position der Kirche und ihres Lehramtes entfernt“. Die bestehenden Normen – dazu gehört im Übrigen auch das Kirchenrecht, das nur wenige noch zu kennen und zu beachten scheinen – sind ein „bindendes objektives Kriterium für die Urteile des Gewissens“. In den 1990er-Jahren wie auch heute werde der „»kreative« Charakter des Gewissens“ betont, die „Akte des Gewissens“ würden von vielen Theologen „nicht mehr als »Urteile«, sondern als »Entscheidungen«“ verstanden. Argumentiert werde aus der existenziellen Perspektive, heute kennen wir das Nebelwort „Lebenswirklichkeit“ in diesen Zusammenhängen. Doch der heilige Johannes Paul II. wusste sehr gut, dass der Herr nicht eine Gemeinschaft der besten weltlichen Absichten gestiftet hat, sondern die Kirche aller Zeiten und Orte. Der herrschende Relativismus führe dazu, „in der Praxis guten Gewissens das zu tun, was vom Sittengesetz als für in sich schlecht eingestuft wird“: „Auf diese Weise entsteht in einigen Fällen eine Trennung oder auch ein Gegensatz zwischen der Lehre von der im allgemeinen gültigen Vorschrift und der Norm des einzelnen Gewissens, das in der Tat letzten Endes über Gut und Böse entscheiden würde. Auf dieser Grundlage maßt man sich an, die Zulässigkeit sogenannter »pastoraler« Lösungen zu begründen, die im Gegensatz zur Lehre des Lehramtes stehen, und eine »kreative« Hermeneutik zu rechtfertigen, nach welcher das sittliche Gewissen durch ein partikulares negatives Gebot tatsächlich nicht in allen Fällen verpflichtet würde. Es gibt wohl niemanden, der nicht begreifen wird, daß mit diesen Ansätzen nichts weniger als die Identität des sittlichen Gewissens selbst gegenüber der Freiheit des Menschen und dem Gesetz Gottes in Frage gestellt wird.“ Das Gewissen sei, so der Apostel Paulus, für den Menschen der „Zeuge seiner Treue oder Untreue gegenüber dem Gesetz, das heißt seiner fundamentalen sittlichen Rechtschaffenheit oder Schlechtigkeit“: „Das Gewissen ist der einzige Zeuge: Was im Innersten der menschlichen Person vor sich geht, bleibt den Augen von jedermann draußen verborgen. Es wendet sich mit seinem Zeugnis nur an die Person selber. Und nur die Person wiederum kennt die eigene Antwort auf die Stimme des Gewissens.“ Das Gewissen sei ein „sittliches Urteil über den Menschen und seine Handlungen“: „Es ist ein Urteil, das freispricht oder verurteilt, je nachdem, ob die menschlichen Handlungen mit dem in das Herz eingeschriebenen Gesetz Gottes übereinstimmen oder von ihm abweichen.“ Das Gewissensurteil ordne an, was der Mensch tun oder lassen solle. Es werde dem Menschen „zu einem inneren Gebot, zu einem Anruf, in der konkreten Situation das Gute zu tun“: „Das Gewissen drückt also die sittliche Verpflichtung im Lichte des Naturgesetzes aus: Es ist die Verpflichtung, das zu tun, was der Mensch durch seinen Gewissensakt als ein Gutes erkennt, das ihm hier und jetzt aufgegeben ist.“ Das Gewissensurteil besitze einen „befehlenden Charakter“ – und daraus folgt, praktisch gewendet, etwa auf die Frage zur Kommunionspendung niemals eine Gewissensentscheidung wie: Dann eben jeder so, wie er mag. Dasselbe gilt für die Moraltheologie. Zugleich betont Johannes Paul II.: „Während das Gewissen das begangene Übel bestätigt, erinnert es auch daran, um Verzeihung zu bitten, das Gute zu tun und unaufhörlich mit Gottes Gnade die Tugend zu üben.“ Unzertrennlich verknüpft bleibt das „Band zwischen Wahrheit und Freiheit“. Darum sei es auch falsch, von willkürlichen, vermeintlich begründeten Gewissensentscheidungen zu sprechen. Das Gewissensurteil lasse sich „nicht an der Befreiung des Gewissens von der objektiven Wahrheit zugunsten einer mutmaßlichen Autonomie der eigenen Entscheidungen messen, sondern im Gegenteil am beharrlichen Suchen nach der Wahrheit und daran, daß man sich von ihr beim Handeln leiten läßt“. Die „Möglichkeit des Irrtums“ sei stets gegeben, das Gewissensurteil sei nicht unfehlbar. Die Lehre der Kirche ist darum hilfreich und notwendig, bietet Orientierung, um den Menschen zu helfen, ihr Gewissen zu bilden und entsprechend zu urteilen: „Auf jeden Fall beruht die Würde des Gewissens immer auf der Wahrheit: Im Falle des rechten Gewissens handelt es sich um die vom Menschen angenommene objektive Wahrheit, im Falle des irrenden Gewissens handelt es sich um das, was der Mensch ohne Schuld subjektiv für wahr hält.“ Der heilige Papst bekräftigt die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils, die eine „große Hilfe für die Gewissensbildung“ darstelle. Er zitiert aus der Konzilserklärung „Dignititatis humanae“: „»Bei ihrer Gewissensbildung müssen jedoch die Christgläubigen die heilige und sichere Lehre der Kirche sorgfältig vor Augen haben. Denn nach dem Willen Christi ist die katholische Kirche die Lehrerin der Wahrheit; ihre Aufgabe ist es, die Wahrheit, die Christus ist, zu verkündigen und authentisch zu lehren, zugleich auch die Prinzipien der sittlichen Ordnung, die aus dem Wesen des Menschen selbst hervorgehen, autoritativ zu erklären und zu bestätigen«.“ Wir sind heute auch mitten in der Kirche von konzilswidrigen Meinungen förmlich umflutet, besonders in Fragen der Moraltheologie. Auch Theologen und Bischöfe scheinen sich vor der „Autorität der Kirche“ zu fürchten oder dazu berufen zu fühlen, die Lehre der Kirche etwa in der Sexualmoral umzuschreiben oder zu relativieren. Johannes Paul II. schreibt: „Die Autorität der Kirche, die sich zu moralischen Fragen äußert, tut also der Gewissensfreiheit der Christen keinerlei Abbruch: nicht nur, weil die Freiheit des Gewissens niemals Freiheit »von« der Wahrheit, sondern immer und nur Freiheit »in« der Wahrheit ist; sondern auch weil das Lehramt an das christliche Gewissen nicht ihm fremde Wahrheiten heranträgt, wohl aber ihm die Wahrheiten aufzeigt, die es bereits besitzen sollte, indem es sie, ausgehend vom ursprünglichen Glaubensakt, zur Entfaltung bringt. Die Kirche stellt sich immer nur in den

Gewissen und Wahrheit Weiterlesen »

Die wahre Freiheit des Menschen

Geistliche Betrachtungen zu den Enzykliken des hl. Johannes Pauls II. – Teil 19 Papst St. Johannes Paul II. auf dem Petersplatz: Die Aufnahme entstand um das Jahr 1978. Foto: LOR / Vatican Media / Archiv Die Enzyklika „Veritatis splendor“ erweist sich gerade in der heutigen Zeit als wegweisend und wertvoll, denn die kontrovers diskutierten Themen von Glauben und Moral werden von dem heiligen Johannes Paul II. bereits bedacht, geprüft und gedeutet. So spricht er auch über die „Freiheit des Menschen“. Wer römisch-katholisch ist, weiß, dass die recht verstandene Freiheit nicht in der absoluten Autonomie der Person, nicht in der beliebigen Verfügbarkeit über das eigene Leben liegt. Ja, wir können tun, was uns beliebt – aber wer tut, was ihm beliebt, bewegt sich auf dem Weg der Sünde. Johannes Paul II. warnt energisch davor, „die Freiheit derart zu verherrlichen, daß man sie zu einem Absolutum machte, das die Quelle aller Werte wäre“: „In diese Richtung bewegen sich Lehren, die jeden Sinn für die Transzendenz verloren haben oder aber ausdrücklich atheistisch sind. Dem Gewissen des einzelnen werden die Vorrechte einer obersten Instanz des sittlichen Urteils zugeschrieben, die kategorisch und unfehlbar über Gut und Böse entscheidet. Zu der Aussage von der Verpflichtung, dem eigenen Gewissen zu folgen, tritt unberechtigterweise jene andere, das moralische Urteil sei allein deshalb wahr, weil es dem Gewissen entspringt.“ Dies sei eine „radikal subjektivistische Konzeption des sittlichen Urteils“. Den Verfall des katholischen Gewissensbegriffs können wir in vielen gegenwärtigen Diskussionen – etwa bei der Kommunionspendung für Nichtkatholiken – beobachten. Auch viele andere Dimension des menschlichen Lebens verlangen, die „allgemeine Erkenntnis auf eine bestimmte Situation anzuwenden“ und auf diese Weise ein Urteil über das richtige Verhalten zu treffen. Wer aber das Ich absolut setzt, geht in die Irre. Sogleich kritisiert der heilige Papst die Verbindung von einer „Verherrlichung der Freiheit“ mit einer „relativistischen Moralauffassung“: „Gewisse Richtungen der heutigen Moraltheologie interpretieren unter dem Einfluß hier in Erinnerung gerufener subjektivistischer und individualistischer Strömungen das Verhältnis der Freiheit zum Sittengesetz, zur menschlichen Natur und zum Gewissen in neuer Weise und schlagen neuartige Kriterien für die sittliche Bewertung von Handlungen vor: es sind dies Tendenzen, die in ihrer Verschiedenheit darin übereinstimmen, die Abhängigkeit der Freiheit von der Wahrheit abzuschwächen oder sogar zu leugnen.“ Die Unterscheidung von Gut und Böse liegt nicht im Ermessen des Menschen. Gott allein steht diese Macht zu: „Gewiß, der Mensch ist von dem Augenblick an frei, in dem er die Gebote Gottes erkennen und aufnehmen kann. Und er ist im Besitz einer sehr weitgehenden Freiheit, denn er darf »von allen Bäumen des Gartens« essen. Aber es ist keine unbegrenzte Freiheit: Sie muß vor dem »Baum der Erkenntnis von Gut und Böse« haltmachen, da sie dazu berufen ist, das Sittengesetz, das Gott dem Menschen gibt, anzunehmen. Tatsächlich findet gerade in dieser Annahme die Freiheit des Menschen ihre wahre und volle Verwirklichung. Gott, der allein gut ist, erkennt genau, was für den Menschen gut ist, und kraft seiner eigenen Liebe legt er ihm dies in den Geboten vor.“ Gottes Gebote schränken die Freiheit des Menschen nicht ein, im Gegenteil – auch wenn dies, so Johannes Paul II., von einigen katholischen Moraltheologen behauptet werde: „In einem solchen Zusammenhang müssen unbedingt die Grundbegriffe der menschlichen Freiheit und des Moralgesetzes sowie ihre tiefen, inneren Beziehungen im Lichte des Wortes Gottes und der lebendigen Überlieferung der Kirche geklärt werden. Nur so wird es möglich sein, den berechtigten Ansprüchen menschlicher Vernünftigkeit dadurch zu entsprechen, daß man die gültigen Elemente einiger Strömungen der heutigen Moraltheologie integriert, ohne das moralische Erbgut der Kirche durch Thesen zu beeinträchtigen, die aus einem falschen Autonomiebegriff herrühren.“ Das Zweite Vatikanische Konzil verlange „Wachsamkeit gegenüber einem falschen Begriff der Autonomie der irdischen Wirklichkeiten“: „Was den Menschen betrifft, so führt dann ein solcher Autonomiebegriff zu besonders schädlichen Auswirkungen, und nimmt schlußendlich atheistischen Charakter an: »Denn das Geschöpf sinkt ohne den Schöpfer ins Nichts… überdies wird das Geschöpf selbst durch das Vergessen Gottes unverständlich«.“ In diesem Sinne bekräftigt Johannes Paul II. nicht subjektivistische Wünsche und Fantasien über eine weltliche Autonomie der Person, sondern die Lehre der Kirche aller Zeiten und Orte: „Das Sittengesetz kommt von Gott und findet immer in ihm seine Quelle: Aufgrund der natürlichen Vernunft, die aus der göttlichen Weisheit stammt, ist es zugleich das dem Menschen eigene Gesetz. Das Naturgesetz ist nämlich, wie wir gesehen haben, »nichts anderes als das von Gott uns eingegebene Licht des Verstandes. Dank seiner wissen wir, was man tun und was man meiden soll. Dieses Licht und dieses Gesetz hat uns Gott bei der Erschaffung geschenkt«. Die richtige Autonomie der praktischen Vernunft bedeutet, daß der Mensch ein ihm eigenes, vom Schöpfer empfangenes Gesetz als Eigenbesitz in sich trägt. Doch die Autonomie der Vernunft kann nicht die Erschaffung der Werte und sittlichen Normen durch die Vernunft bedeuten.“ Die „wahre sittliche Autonomie“ liegt nicht in der Leugnung oder Ablehnung, sondern einzig in der „Annahme des Sittengesetzes“: „Die Freiheit des Menschen und das Gesetz Gottes begegnen einander und sind aufgerufen, sich im Sinne des freien Gehorsams des Menschen gegenüber Gott und des unverdienten Wohlwollens Gottes gegenüber dem Menschen gegenseitig zu durchdringen. Der Gehorsam Gott gegenüber ist daher nicht, wie manche meinen, eine Heteronomie, so als wäre das moralische Leben dem Willen einer absoluten Allmacht außerhalb des Menschen unterworfen, die der Behauptung seiner Freiheit widerspricht. … Die der Freiheit Gottes nachgebildete Freiheit des Menschen wird durch dessen Gehorsam gegenüber dem Gesetz Gottes nicht nur nicht verneint, sondern vielmehr bleibt sie erst durch diesen Gehorsam in der Wahrheit und entspricht der Würde des Menschen, wie das Konzil offen schreibt: »Die Würde des Menschen verlangt, daß er in bewußter und freier Wahl handle, das heißt personal, von innen her bewegt und geführt und nicht unter blindem innerem Drang oder unter bloßem äußerem Zwang. Eine solche Würde erwirbt der Mensch, wenn er sich aus aller Knechtschaft der Leidenschaften befreit und sein Ziel in freier Wahl des Guten verfolgt sowie sich die geeigneten Hilfsmittel wirksam und in angestrengtem Bemühen verschafft« (Gaudium et spes, 75).“ Der heilige Johannes Paul II. wirbt um unsere Treue zur Kirche des Herrn

Die wahre Freiheit des Menschen Weiterlesen »

Die Moral des Evangeliums

Geistliche Betrachtungen zu den Enzykliken des hl. Johannes Pauls II. – Teil 18 Konzilsväter auf dem Petersplatz im Oktober 1961 Foto: Peter Geymayer / Wikimedia (Gemeinfrei) In der Moderne ist es zeitweilig modisch, nicht allein törichterweise „Jesus ja – Kirche nein“ zu sagen, sondern auch bunt illuminierte Fantasien über die Trennung von Glauben und Moral aufzubringen. Der heilige Johannes Paul II. hat in der Enzyklika „Veritatis splendor“ die unauflösliche Verwobenheit dieser beiden Dimensionen verdeutlicht. Gerade in Zeiten, in denen auf dem „Synodalen Weg“ und von postmodernistischen Theologien der Kern des Glaubens und der Lehre relativistisch betrachtet wird, erweist sich die Lektüre der Lehrschreiben aus dem Pontifikat Johannes Pauls II. als notwendig und hilfreich. Der Papst verdeutlicht die Moral des Evangeliums am Beispiel des Gesprächs Jesu mit dem reichen Jüngling, dargelegt im 19. Kapitel des Matthäus-Evangeliums. Der Herr wies ihn an, die Gebote zu halten und ihm nachzufolgen: „Für den jungen Mann ist es nicht zuerst eine Frage nach den Regeln, die befolgt werden müssen, als vielmehr eine Frage nach Sinnerfüllung für das Leben. Und in der Tat liegt dem Menschen bei jeder Entscheidung und jeder Handlung dieses Verlangen am Herzen; es ist die stille Suche und der innere Anstoß, der die Freiheit in Bewegung setzt. Diese Frage ist letzten Endes ein Appell an das absolute Gute, das uns anzieht und uns zu sich ruft, sie ist der Widerhall einer Berufung durch Gott, Ursprung und Ziel des Lebens des Menschen.“ Das Tun des „sittlich Guten“ und das „ewige Leben“ lassen sich nicht voneinander trennen. Die Frage des Jünglings stelle sich, so Johannes Paul II., auch heute. Darum müsse sich der Mensch neu an Christus wenden, um zu erfahren, was Gut und Böse ist: „Wenn wir also in das Innerste der Moral des Evangeliums vordringen und ihren tiefen und unwandelbaren Inhalt erfassen wollen, müssen wir sorgfältig den Sinn der von dem reichen Jüngling des Evangeliums gestellten Frage und mehr noch den Sinn der Antwort Jesu erforschen, indem wir uns von ihm leiten lassen. Jesus antwortet nämlich mit pädagogischer Einfühlung und Behutsamkeit, indem er den jungen Mann gleichsam an der Hand nimmt und Schritt für Schritt zur Wahrheit hinführt.“ Wer nach dem Guten fragt, ist bewegt von der Frage nach Gott, der die Fülle des Guten ist. Der Mensch ist dazu berufen, sittlich zu leben und die Gebote zu befolgen: „Das Gute besteht darin, Gott zu gehören, ihm zu gehorchen, demütig mit ihm unseren Weg zu gehen, Gerechtigkeit zu üben und die Güte zu lieben (vgl. Mich 6, 8). Den Herrn als Gott anzuerkennen, ist der fundamentale Kern, das Herzstück des Gesetzes, von dem sich die einzelnen Gebote herleiten und dem sie untergeordnet sind. Durch die Moral der Gebote wird die Zugehörigkeit des Volkes Israel zum Herrn offenkundig, denn Gott allein ist derjenige, der gut ist.“ Gottes Gebote schenken Orientierung und bilden die Richtschnur für das Leben des Menschen: „Jesus führt die Gebote Gottes, insbesondere das Gebot der Nächstenliebe, dadurch ihrer Erfüllung zu, daß er ihre Forderungen verinnerlicht und ihren Anforderungen größere Radikalität verleiht: Die Liebe zum Nächsten entspringt einem Herzen, das liebt und das eben deshalb, weil es liebt, bereit ist, die höchsten Forderungen zu leben. Jesus zeigt, daß die Gebote nicht als eine nicht zu überschreitende Minimalgrenze verstanden werden dürfen, sondern vielmehr als eine Straße, die offen ist für einen sittlichen und geistlichen Weg der Vollkommenheit, deren Seele die Liebe ist.“ Der reiche Jüngling fragt ernsthaft nach. Er begnügt sich nicht mit den sittlichen Idealen. Der Herr sagt zu ihm, er solle all seinen Besitz verkaufen und in die Nachfolge eintreten. Alle Gebote hat er befolgt, aber er erweist sich als unfähig, dem Ruf Christi ganz zu entsprechen. Dieser Form der liebenden Hingabe verweigert er sich: „Die Vollkommenheit erfordert jene Reife in der Selbsthingabe, zu der die Freiheit des Menschen berufen ist. … Das Wort Jesu enthüllt die besondere Dynamik des Wachstums der Freiheit zur Reife und bezeugt zugleich die fundamentale Beziehung der Freiheit zum göttlichen Gesetz. Die Freiheit des Menschen und das Gesetz Gottes widersprechen sich nicht, sondern im Gegenteil, sie fordern einander.“ Wer aber dem Fleisch angehört, der hält das Gesetz Gottes für eine Zumutung und begreift dieses als Last, „ja als eine Verneinung oder jedenfalls eine Einschränkung der eigenen Freiheit“: „Der Weg und zugleich der Inhalt dieser Vollkommenheit besteht in der Nachfolge Christi, darin, daß man Jesus folgt, nachdem man dem eigenen Besitz und sich selbst entsagt hat. Genauso endet das Gespräch mit dem jungen Mann: »Dann komm und folge mir nach!« (Mt 19, 21).“ Der Weg des Herrn ist ein Weg der Liebe, der Ruf, vollkommen zu sein im Gebot der Liebe, einer Liebe, die Geschenk und Geheimnis bleibt. Der heilige Johannes Paul II. appelliert darum leidenschaftlich: „Kein Riß darf die Harmonie zwischen Glaube und Leben gefährden: die Einheit der Kirche wird nicht nur von den Christen verletzt, die die Glaubenswahrheiten ablehnen oder verzerren, sondern auch von jenen, die die sittlichen Verpflichtungen verkennen, zu denen sie das Evangelium aufruft (vgl. 1 Kor 5, 9-13).“ Es sei seit der apostolischen Zeit die Aufgabe der Bischöfe, die Lehre des Herrn – untrennbar verknüpft mit der Lehre der Kirche – zu bewahren, zu verkünden und die „Vorgehenswiesen derjenigen mit aller Klarheit“ anzuzeigen, „die mit ihren Lehren oder mit ihrem Verhalten Spaltungen Vorschub leisteten“: „Die Förderung und Bewahrung des Glaubens und des sittlichen Lebens in der Einheit der Kirche ist die von Jesus den Aposteln anvertraute Aufgabe (vgl. Mt 28, 19-20), die auf das Amt ihrer Nachfolger übergeht. Das alles findet sich in der lebendigen Überlieferung, durch die – wie das II. Vatikanische Konzil lehrt – »die Kirche in Lehre, Leben und Kult alles, was sie selber ist, alles, was sie glaubt durch die Zeiten weiterführt und allen Geschlechtern übermittelt. Diese apostolische Überlieferung kennt in der Kirche unter dem Beistand des Heiligen Geistes einen Fortschritt«. Im Geist empfängt die Kirche die Schrift und gibt sie weiter als Zeugnis für »das Große«, das Gott in der Geschichte bewirkt (vgl. Lk 1, 49), durch den Mund der Kirchenväter und -lehrer bekennt sie

Die Moral des Evangeliums Weiterlesen »

Die Freiheit der Kinder Gottes

Geistliche Betrachtungen zu den Enzykliken des hl. Johannes Pauls II. – Teil 17 llustration Foto: Sunyu / Unsplash (CC0) Ein großes Anliegen war Papst Johannes Paul II. die „ständige Vertiefung der sittlichen Erkenntnis“, wie er in der Enzyklika „Veritatis splendor“ ausführt. Er denkt an seine Vorgänger, aber auch an die Gemeinschaft der Bischöfe, die bestrebt waren, den Wert und die Bedeutung der Sittenlehre vertieft auszuarbeiten und zu verkünden – „im Namen und mit der Autorität Jesu Christi“. Wichtig sei,  „mit der Garantie des Beistands des Geistes der Wahrheit“ die Menschen  „zu einem besseren Verständnis der sittlichen Ansprüche im Bereich der menschlichen Sexualität, der Familie, des sozialen, wirtschaftlichen und politischen Lebens“ anzuleiten. Wir können uns vielleicht vorstellen, wie der heilige Johannes Paul II. auf das Bekenntnis einiger Bischöfe zu einer Berücksichtigung der von Michel Foucault inspirierten „Lebenswissenschaften“ reagiert hätte. Er stellt berechtigterweise auch 1993 die Sorge fest, dass die „Morallehre der Kirche“ Anfeindungen ausgesetzt ist, ja dass diese lebensfördernde und -dienliche Lehre gefährdet bleibt, fortwährend verfälscht oder verneint zu werden. Auch seinerzeit war die Morallehre schon bedroht von einer laxen Theologie, die die „fundamentalen Wahrheiten“ relativierte oder ignorierte: „Es handelt sich nicht mehr um begrenzte und gelegentliche Einwände, sondern um eine globale und systematische Infragestellung der sittlichen Lehrüberlieferung aufgrund bestimmter anthropologischer und ethischer Auffassungen. Diese haben ihre Wurzel in dem mehr oder weniger verborgenen Einfluß von Denkströmungen, die schließlich die menschliche Freiheit der Verwurzelung in dem ihr wesentlichen und für sie bestimmenden Bezug zur Wahrheit beraubt. So wird die herkömmliche Lehre über das Naturgesetz, über die Universalität und bleibende Gültigkeit seiner Gebote abgelehnt; Teile der kirchlichen Moralverkündigung werden für schlechthin unannehmbar gehalten; man ist der Meinung, das Lehramt dürfe sich in Moralfragen nur einmischen, um die »Gewissen zu ermahnen« und »Werte vorzulegen«, nach denen dann ein jeder autonom die Entscheidungen und Entschlüsse seines Lebens inspirieren wird.“ Wir sehen heute staunend die Aktualität dieser Überlegungen des heiligen Papstes. Die Revision der Morallehre wird heute – und es ist ein Vorgang von skandalöser Tragweite – von Amtsträgern der Kirche gefordert. Die Autonomie des Menschen wird von manchen Theologen als höchstes Gut angesehen. Das Naturrecht wird als beliebige Meinung qualifiziert. Johannes Paul II. sieht bereits deutlich, dass die „Antwort der Kirche“ auch in einigen Priesterseminaren bereits abgeschwächt wird und dass an manchen Theologischen Fakultäten eine große „Diskrepanz“ zwischen den dortigen Lehrmeinungen und der Lehre der Kirche herrscht. Er fragt darum: „Besitzen die Gebote Gottes, die dem Menschen ins Herz geschrieben sind und Bestandteil des Bundes Gottes mit ihm sind, tatsächlich die Fähigkeit, die täglichen Entscheidungen der einzelnen Menschen und der gesamten Gesellschaft zu erleuchten? Ist es möglich, Gott zu gehorchen und damit Gott und den Nächsten zu lieben, ohne diese Gebote unter allen Umständen zu respektieren? Verbreitet ist auch der Zweifel am engen und untrennbaren Zusammenhang zwischen Glaube und Moral, so als würde sich die Zugehörigkeit zur Kirche und deren innere Einheit allein durch den Glauben entscheiden, während man in Sachen Moral einen Pluralismus von Anschauungen und Verhaltensweisen dulden könnte, je nach Urteil des individuellen subjektiven Gewissens bzw. der Verschiedenheit der sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen.“ Das, was Johannes Paul II. bereits 1993 benennt, hat sich seither in umfassender Weise ausgebreitet. Das postmoderne Programm einer Separierung von Glaube und Moral spiegelt sich in einer Orientierungslosigkeit, die als Erneuerungsversuch der Kirche firmiert. Das kirchlich gebildete Gewissen und das „subjektive Gewissen“ scheinen sogar für viele Katholiken mittlerweile ununterscheidbar, ja identisch geworden zu sein. Aber auch das Eintreten des Jüngsten Gerichtes ist nicht davon abhängig, ob einzelne Menschen daran glauben oder nicht. Die Lehre der Kirche besteht fort, selbst wenn sie nicht verkündet oder wenn deren Verbindlichkeit von Theologen oder Bischöfen geleugnet wird. Wer der Sünde folgt – und dazu gehören auch die Überhöhung des Ichs und der stolze Glaube an die Selbstverwirklichung –, begibt sich in die Knechtschaft. Die Abwendung von Gott und seinen Geboten macht den Menschen arm und unglücklich. Auch alle Selbstrechtfertigungen schützen und helfen nicht. In ihnen spiegelt sich nur die Weisheit dieser Welt, die reine Torheit ist und sich von dem reichen Erbarmen Gottes abschotten will. Die wahre „Lebenswissenschaft“, der wir zu folgen bestellt sind, ist das Evangelium Jesu Christi. Daran erinnert der heilige Johannes Paul II.: „Wer »nach dem Fleische« lebt, empfindet das Gesetz Gottes als eine Last, ja als eine Verneinung oder jedenfalls eine Einschränkung der eigenen Freiheit. Wer hingegen von der Liebe beseelt ist und »sich vom Geist leiten läßt« (Gal 5, 16) und den anderen dienen will, findet im Gesetz Gottes den grundlegenden und notwendigen Weg zur praktischen Übung der frei gewählten und gelebten Liebe. Ja, er spürt den inneren Drang – ein echtes und eigenes »Bedürfnis« und nicht etwa einen Zwang –, nicht bei den Minimalforderungen des Gesetzes stehenzubleiben, sondern sie in ihrer »Fülle« zu leben. Es ist ein noch unsicherer und brüchiger Weg, solange wir auf Erden sein werden, der aber ermöglicht wird von der Gnade, die es uns gewährt, die volle Freiheit der Kinder Gottes zu besitzen (vgl. Röm 8, 21) und somit im sittlichen Leben auf die erhabene Berufung zu antworten, »Söhne im Sohn« zu sein.“ Wer sich in den Willen Gottes einfügt, wer die Gebote in freier Dankbarkeit annimmt und lebt, spürt in sich eine Ahnung der Schönheit, in Gottes großer Weite für immer zu Hause sein zu dürfen. Dies ist ein Vorgeschmack auf den Himmel, der uns verheißen ist – der Weg, zu dem Johannes Paul II. einlädt, heißt: Hingabe an Gott und Treue zur Kirche des Herrn. Vorbilder und Weggefährten können uns alle Heiligen sein. Quelle: CNA Deutsch, 22. Mai, 2021  Autor: Dr. Thorsten Paprotny

Die Freiheit der Kinder Gottes Weiterlesen »

Trügerische Freiheit

Geistliche Betrachtungen zu den Enzykliken des hl. Johannes Pauls II. – Teil 16 Papst St. Johannes Paul II. Foto: Osservatore Romano Die Enzyklika „Veritatis splendor“ – von Papst Johannes Paul II. publiziert am 6. August 1993 – wurde schon damals von sehr vielen deutschen Moraltheologen übersehen oder missbilligt. Nationalkirchlicher oder reformtheologischer Eigensinn ist also mitnichten eine Neuheit, sondern eher Ausdruck der beständigen Wiederkehr einer wie immer begründeten Abwendung von Rom. Es hat schon so viele Versuche gegeben, eine Neumodellierung der kirchlichen Lehre anzustellen. Diese traurige Geschichte setzt sich fort. Doch Johannes Paul II. spricht vom „Glanz der Wahrheit“, der jede bunt illuminierte Meinung in Zeit und Ewigkeit überstrahlen und überdauern wird – „die Wahrheit erleuchtet den Verstand und formt die Freiheit des Menschen, der auf diese Weise angeleitet wird, den Herrn zu erkennen und zu lieben“. Wahrheit und Liebe lassen sich nicht voneinander lösen. Der endliche Verstand, der meint, sich selbst aufzuklären und als autonom begreift, gerät ins Dunkel, bisweilen in die Finsternis seiner eigenen Meinungen, die er mit der Wahrheit identifiziert. Umkehr ist nötig. Nur die Wahrheit, die Jesus Christus in Person ist, erleuchtet den Verstand, führt den Menschen aus der Verstrickung seiner eigenen Befindlichkeiten und Irrtümer zum Licht, das die Welt erleuchtet. Dieses Licht Christi klärt auf über Sünde und formt sodann den Menschen, der sich nicht mehr trotzig und feindselig von Gott abwendet, sondern – wie der heilige Papst formuliert – „den Herrn zu erkennen und zu lieben“ lernt. Eigentlich, so denken wir heute lesend und betrachtend, ist der Glaube nicht nur schön, sondern auch einfach, so einfach, dass ein gotteskindliches Herz diesen dankbar annehmen und die Weisungen der Kirche getreu befolgen kann. Doch dem Gläubigen fällt es schwer, sich auf Gott zu besinnen. So viele Christen verlernen die Ehrfurcht vor Christus, versäumen es, Gott anzubeten, fühlen sich eingeengt und möchten sich vom scheinbaren Joch der kirchlichen Lehre befreien. Wir sehen das in diesen Tagen mit neuer Schärfe. Johannes Paul II. spricht von kirchlichem Gehorsam und damit zugleich auch von dem hörenden Herz des Gläubigen, der offen sein soll für Gottes Wort und Weisung: „Dieser Gehorsam ist nicht immer leicht. In der Folge der geheimnisvollen Ursünde, begangen auf Anstiftung Satans, der »ein Lügner und der Vater der Lüge ist« (Joh 8, 44), ist der Mensch immerfort versucht, seinen Blick vom lebendigen und wahren Gott ab- und den Götzen zuzuwenden (vgl. 1 Thess 1, 9), während er »die Wahrheit Gottes mit der Lüge« vertauscht (Röm 1, 25); damit wird auch seine Fähigkeit, die Wahrheit zu erkennen, beeinträchtigt und sein Wille, sich ihr zu unterwerfen, geschwächt. Und so geht er, während er sich dem Relativismus und Skeptizismus überläßt (vgl. Joh 18, 38), auf die Suche nach einer trügerischen Freiheit außerhalb dieser Wahrheit.“ Diese „trügerische Freiheit“ hat viele Gesichter, die Reihe der Versuchungen ist nahezu endlos – und reicht bis weit in den Raum der Kirche hinein. Lässt es sich nicht leichter leben ohne Gott? Wollen wir nicht endlich den Ballast der Morallehre abwerfen, ein freizügiges, wahrhaft existenzialistisch freies Leben führen – des eigenen Glückes Schmied sein? Suchen wir nicht ein ungebundenes Glück abseits normativer, sakramentaler und naturrechtlicher Vorgaben? Darf nicht jeder Mensch leben, wie es ihm gefällt – und trotzdem darauf hoffen, dass Gott das nicht nur anerkennt, sondern irgendwie sogar gutheißt? Wir können Lebensformen vergötzen, wir können Lebensweisen glorifizieren – und wir können auch sogar uns verführen lassen all das, was Sünde ist, als Ausdrucksform moderner Freiheiten zu begreifen. Wir können uns zur absoluten Autonomie des Menschen bekennen – und das Credo der Kirche relativieren. Der Mensch steht inmitten der Versuchungen, er wird verführt vom Konsumismus und dem Reigen an zeitgeistlichen Unsitten der mondänen Weltlichkeit. Doch Bekehrung ist möglich, ist nötig. Ja, der Mensch kann sich in der modernen Welt verführen und betäuben lassen – und schweren Schaden nehmen an der Seele. Eine regional modernistisch gesinnte Kirche selbst würde diese Schäden vermehren, wenn sie die Treue zum Evangelium und zur Lehre der Kirche aller Zeiten und Orte aufgeben würde – einer trügerischen, auch tückischen Freiheit der Menschen wegen. Nie ist die Unfreiheit, nie ist das Elend des Menschen aber größer als im Stadium der Abwendung von Gott und seiner Kirche. Johannes Paul II. bekräftigt in seiner großen Enzyklika, die hier in mehreren Betrachtungen gewürdigt werden soll, dass Gottes Wahrheit immer größer ist als alle groß erscheinenden, aber falschen Meinungen und fehlerhaften Haltungen: „Aber keine Finsternis des Irrtums und der Sünde vermag das Licht des Schöpfergottes im Menschen völlig auszulöschen. In der Tiefe seines Herzens besteht immer weiter die Sehnsucht nach der absoluten Wahrheit und das Verlangen, in den Vollbesitz ihrer Erkenntnis zu gelangen. Davon gibt das unermüdliche menschliche Suchen und Forschen auf jedem Gebiet ein beredtes Zeugnis. Das beweist noch mehr die Suche nach dem Sinn des Lebens. Die Entwicklung von Wissenschaft und Technik ist zwar ein großartiges Zeugnis der Fähigkeit des Verstandes und der Ausdauer der Menschen, befreit aber die Menschheit nicht davon, sich letzte religiöse Fragen zu stellen, sie spornt sie vielmehr dazu an, die schmerzlichsten und entscheidendsten Kämpfe, jene im Herzen und im Gewissen, auszutragen.“ Mit Johannes Paul II. dürfen wir voller Hoffnung und Zuversicht sein: Ja, die Sehnsucht nach Gott besteht fort. Christus vincit, Christus regnat, Christus imperat. Quelle: CNA Deutsch, 08. Mai, 2021  Autor: Dr. Thorsten Paprotny

Trügerische Freiheit Weiterlesen »

Die christliche Familie und die soziale Frage

Geistliche Betrachtungen zu den Enzykliken des hl. Johannes Pauls II. – Teil 15 Der heilige Johannes Paul II. war Papst von 1978 bis 2005 Foto: Foto: CC Wikimedia Johannes Paul II.  veröffentlicht am 1. Mai 1991 mit „Centesimus annus“ die dritte Sozialenzyklika seines Pontifikats und würdigt insbesondere Leo XIII., der die Zentralität der sozialen Frage für die katholische Kirche nachdrücklich betont hat. Gegen den herrschenden „Geist der Erneuerung“ meldete sich Leo zu Wort: „Der Papst, die Kirche und ebenso die bürgerliche Gesellschaft standen vor einer durch Konflikt gespaltenen Gesellschaft. Dieser Konflikt war um so härter und unmenschlicher als er weder Regel noch Gesetz kannte. Es war der Konflikt zwischen Kapital und Arbeit oder — wie es die Enzyklika nannte — die Arbeiterfrage. Eben zu diesem Konflikt wollte der Papst in den schärfsten Worten, die ihm damals zur Verfügung standen, seine Meinung kundtun.“ Der modernistische Ungeist wirkte zu Leos Zeiten auf vielfältige Weise, nicht allein in der Theologie und im Leben der Kirche, sondern auch im sozialen Bereich. Atheistische Ideologien breiteten sich aus, der Sozialismus und der Liberalismus, ebenso wie Faschismus und Nationalsozialismus viele Jahrzehnte später. Der Auftrag der Kirche sei es, Leitlinien zur Orientierung zu bieten, sich von Irrlehren abzugrenzen, die sozialen Nöte der Menschheit ernst zu nehmen und mit der katholischen Soziallehre adäquat zu antworten. Johannes Paul II. schreibt: „In der Tat, die Verkündigung und Verbreitung der Soziallehre gehört wesentlich zum Sendungsauftrag der Glaubensverkündigung der Kirche; sie gehört zur christlichen Botschaft, weil sie deren konkrete Auswirkungen für das Leben in der Gesellschaft vor Augen stellt und damit die tägliche Arbeit und den mit ihr verbundenen Kampf für die Gerechtigkeit in das Zeugnis für Christus den Erlöser miteinbezieht. Sie bildet darüber hinaus eine Quelle der Einheit und des Friedens angesichts der Konflikte, die im wirtschaftlich-sozialen Bereich unvermeidlich auftreten. Auf diese Weise wird es möglich, die neuen Situationen zu bestehen, ohne die transzendente Würde der menschlichen Person weder bei sich selbst noch bei seinen Gegnern zu verletzen, und sie zu einer richtigen Lösung zu führen. … Jenseits aller Rechte, die der Mensch durch sein Tun und Handeln erwirbt, besitzt er Rechte, die nicht im Entgelt für seine Leistung bestehen, sondern seiner wesenhaften Würde als Person entspringen.“ Von der sozialen Frage, von der Armut vieler Menschen auch in den Wohlstandsgesellschaften, ist in der Kirche heute nur selten noch die Rede. Der Papst kritisiert zunächst sozialistische Lehren: „[Der Sozialismus] betrachtet den einzelnen Menschen lediglich als ein Instrument und Molekül des gesellschaftlichen Organismus, so daß das Wohl des einzelnen dem Ablauf des wirtschaftlich-gesellschaftlichen Mechanismus völlig untergeordnet wird; gleichzeitig ist man der Meinung, daß eben dieses Wohl unabhängig von freier Entscheidung und ohne eine ganz persönliche und unübertragbare Verantwortung gegenüber dem Guten verwirklicht werden könne. Der Mensch wird auf diese Weise zu einem Bündel gesellschaftlicher Beziehungen verkürzt, es verschwindet der Begriff der Person als autonomes Subjekt moralischer Entscheidung, das gerade dadurch die gesellschaftliche Ordnung aufbaut.“ Er würdigt den Umbruch von 1989, scheut sich aber nicht, die immensen Probleme des Kapitalismus anzusprechen: „Trotz der großen Veränderungen, die in den fortgeschrittenen Gesellschaften stattgefunden haben, ist das menschliche Defizit des Kapitalismus mit der daraus sich ergebenden Herrschaft der Dinge über die Menschen keineswegs überwunden; ja, für die Armen kam zum Mangel an materiellen Gütern noch der Mangel an Wissen und Bildung hinzu, der es ihnen unmöglich macht, sich aus ihrer Lage erniedrigender Unterwerfung zu befreien.“ In diesem Sinne stellt er fest: „Man sieht daraus, wie unhaltbar die Behauptung ist, die Niederlage des sogenannten »realen Sozialismus« lasse den Kapitalismus als einziges Modell wirtschaftlicher Organisation übrig. Es gilt, die Barrieren und Monopole zu durchbrechen, die so viele Völker am Rande der Entwicklung liegenlassen.“ Unbeirrt tritt der Papst für die Menschenwürde ein und warnt zugleich prophetisch vor einem sich ausbreitenden Konsumismus: „Die Entscheidung für bestimmte Formen von Produktion und Konsum bringt immer auch eine bestimmte Kultur als Gesamtauffassung des Lebens zum Ausdruck. Hier entsteht das Phänomen des Konsumismus. Bei der Entdeckung neuer Bedürfnisse und neuer Möglichkeiten, sie zu befriedigen, muß man sich von einem Menschenbild leiten lassen, das alle Dimensionen seines Seins berücksichtigt und die materiellen und triebhaften den inneren und geistigen unterordnet. Überläßt man sich hingegen direkt seinen Trieben, unter Verkennung der Werte des persönlichen Gewissens und der Freiheit, können Konsumgewohnheiten und Lebensweisen entstehen, die objektiv unzulässig sind und nicht selten der körperlichen und geistigen Gesundheit schaden.“ Der heilige Johannes Paul II. sieht hier Zeichen einer seelischen Verwahrlosung. Menschen folgen dem Lustgewinn, leben triebbestimmt und entfremden sich von Gott. Das Böse dringt in neue Räume ein und findet neue Wege: „Ein augenfälliges Beispiel künstlichen Konsums, der sich gegen die Gesundheit und gegen die Würde des Menschen richtet und sich gewiß nicht leicht unter Kontrolle bringen läßt, ist die Droge. Ihre Ausbreitung ist Anzeichen einer ernsten Funktionsstörung des Gesellschaftssystems und schließt gleichfalls eine materialistische und in einem gewissen Sinn destruktive »Lesart« der menschlichen Bedürfnisse ein. … Die Droge wie auch die Pornographie und andere Konsumismusformen versuchen die entstandene geistige Leere auszufüllen, indem sie sich die Anfälligkeit der Schwachen zunutze machen.“ Man könnte denken, dass Johannes Paul II. hier ganz besonders gesellschaftliche Entwicklungen in den Blick nimmt, die dazu führen, dass Menschen sich von einem Luststreben okkupieren lassen, so dass sie sich auch erschreckend enthusiastisch in die Fesseln der Sünde hineinbegeben, von dem Irrtum geleitet, auf diese Weise besonders frei zu sein. Sie lassen sich gehen, verstricken sich aber nur immer tiefer hinein in die Abgründe der Sünde und auch der sozialen Not. Getrieben von der Sucht, sich zu befriedigen, bleiben sie unausweichlich unbefriedigt, ja verelenden in vielerlei Hinsicht, geistig, geistlich und materiell. Ein Gegenmodell zu den Versuchungen der Welt und ein Hort sozialer Stabilität ist die Familie. Johannes Paul II. bekennt sich auch darum zur christlichen Familie: „Die erste und grundlegende Struktur zu Gunsten der »Humanökologie« ist die Familie, in deren Schoß der Mensch die entscheidenden Anfangsgründe über die Wahrheit und das Gute empfängt, wo er lernt, was lieben und geliebt werden heißt und was es konkret besagt, Person zu sein. Hier ist die auf die Ehe gegründete Familie gemeint,

Die christliche Familie und die soziale Frage Weiterlesen »

Mission – Auftrag der Kirche

Geistliche Betrachtungen zu den Enzykliken des hl. Johannes Pauls II. – Teil 14 Die EWTN-Gründerin Mutter Angelica zeigt Papst Johannes Paul II. eine der frühen Satellitenschüsseln. Foto: EWTN In dem weitsichtigen Lehrschreiben „Redemptoris missio“, das am 7. Dezember 1990 publiziert wurde, hat Johannes Paul II. die ihm besonders am Herzen liegenden Dimensionen der Verkündigung differenziert und mit apostolischer Leidenschaft vorgestellt. Eine Kirche, die sich selbst verschließt, bezeugt nicht mehr Christus, sondern wird zu einer überflüssigen Organisation, die den Strukturen und Vereinen dieser Welt entspricht. Symptome einer solchen Verweltlichung beobachten wir gegenwärtig in Deutschland insbesondere beim „Synodalen Weg“, auf dem die Gottesfrage marginalisiert und die Verkündigung des Evangeliums nivelliert wird. Die Aktualität der Enzyklika wird insbesondere deutlich, weil an den Auftrag der Christen erinnert werden muss: „Die Verkündigung hat in der Mission jederzeit Vorrang. Die Kirche darf sich dem ausdrücklichen Auftrag Christi nicht entziehen; sie darf den Menschen die »gute Nachricht«, daß sie von Gott geliebt und gerettet sind, nicht vorenthalten.“ Heute scheint ein Bekenntnis zu maßloser Kritik an der Kirche oft die Verkündigung der Frohen Botschaft ersetzt zu haben. Johannes Paul II. hat 1990 zur Mission ermuntert und ermutigt: „Mission ist eine einzige, aber komplexe Wirklichkeit, die sich in verschiedenen Formen entfaltet, unter denen einige in der gegenwärtigen Situation der Kirche und der Welt von besonderer Wichtigkeit sind. … Der Christ und die christliche Gemeinde sind tief verwurzelt im Leben der jeweiligen Völker; sie sind Zeugen des Evangeliums auch in der Treue zu ihrer Heimat, zu ihrem Volk, zu ihrer Landeskultur, immer jedoch in der Freiheit, die Christus gebracht hat. Das Christentum ist offen für eine weltweite Brüderlichkeit, weil alle Menschen Söhne und Töchter desselben Vaters und Geschwister in Christus sind. … Die Kirche und die Missionare müssen auch ein Zeugnis der Demut geben, bezogen vor allem auf sich selbst. Diese Demut drückt sich auf persönlicher und gemeinschaftlicher Ebene aus in der Fähigkeit zur Gewissenserforschung, um in den eigenen Verhaltensweisen das auszubessern, was unevangelisch ist und das Angesicht Christi entstellt.“ Doch wir hören wenig von einem „Zeugnis der Demut“ in unserer Zeit, vielmehr beobachten wir beständig Zeugnisse des Hochmuts, der Kritiklust und der Arroganz. Doch die Christen sind dazu bestellt, „Zeugen des Evangeliums“ zu sein. Der Papst legt zudem dar, dass der Missionar – damit jeder Christ – aufgerufen ist, sich zuinnerst zu Christus zu bekehren und sich von Christus erneuern zu lassen: „Sicher, jeder Bekehrte ist ein Geschenk auch an die Kirche und bedeutet für sie eine schwere Verantwortung; nicht nur, weil er im Katechumenat auf die Taufe vorbereitet und dann durch religiöse Unterweisung begleitet werden muß, sondern auch weil er, speziell als Erwachsener, mit neuer Energie die Begeisterung des Glaubens mitbringt und den Wunsch, in der Kirche selbst ein gelebtes Evangelium vorzufinden. Es wäre für ihn eine Enttäuschung, wenn er, der in die kirchliche Gemeinschaft eingetreten ist, dort ein müdes, freudloses, nicht erneuerungsbereites Leben anträfe. Wir können nicht die Bekehrung predigen, wenn wir uns nicht selbst jeden Tag bekehren.“ Finden wir heute in der Kirche das „gelebte Evangelium“? Strahlen wir selbst die Freude am Glauben, die Freude an Gott aus? Oder erwecken wir den Anschein, dass wir – ausgezehrt von fruchtlosen Dialogprozessen und erschöpft von müßigen Strukturdebatten – bloß die säkulare Tristesse vermehren? Möge auch die Kirche in Deutschland diese Wüste der Freudlosigkeit endlich verlassen! Ja, von der Müdigkeit und Freudlosigkeit der Christen spricht Johannes Paul II. sehr deutlich und förderte bekanntlich charismatische Erneuerungsbewegungen mit großer Leidenschaft. Aber es geht nicht darum, sich einer solchen Gruppe oder Gemeinschaft anzuschließen, sondern – ganz einfach – bei sich selbst anzufangen, sich an Christus neu auszurichten. Aus der Anbetung, aus dem stillen Verharren vor dem Tabernakel lebt der Glaube, der sich nicht in Gremien bewähren soll, sondern im frohen Zeugnis für Gott im Alltag, in der Pfarrgemeinde und darüber hinaus: „Was von den Anfängen des Christentums an für die universale Mission unternommen wurde, behält seine Gültigkeit und Dringlichkeit bis zum heutigen Tag. Die Kirche ist ihrer Natur nach missionarisch, da der Auftrag Christi nicht bedingt und äußerlich ist, sondern das Herz der Kirche betrifft.“ Über die „Pflicht zur Heiligkeit“ sollen die Gläubigen neu nachdenken. Ein Gesandter des Herrn ist vor allem ein betender Mensch, ein „Mensch der Seligpreisungen“: „Indem er die Seligpreisungen lebt, erfährt der Missionar und beweist mit seinem Leben, daß das Reich Gottes schon gekommen ist und daß er es schon angenommen hat. Das Wesensmerkmal jedes echten missionarischen Lebens ist die innere Freude, die aus dem Glauben kommt. In einer von so vielen Problemen verängstigten und bedrängten Welt, die zum Pessimismus neigt, muß der Verkünder der »Frohbotschaft« ein Mensch sein, der in Christus die wahre Hoffnung gefunden hat.“ Ein gläubiger Christ ist also weder ein Bote eines abendländischen Nostalgievereins noch einer Kirchenpartei für säkulare Anpassungsstrategien. Ein Christ ist zudem weder der Gesandte einer kulturpessimistischen Grimmigkeit noch der Apostel einer eloquenten, modernistischen Geschmeidigkeit. Der Christ lebt, schlicht und einfach, aus der Freude an Gott, aus der Freude am Glauben, und diese Freude leuchtet aus dem Christen hervor. Diese Freude, ein Glied der Kirche des Herrn zu sein, ist ein missionarisches Zeugnis in einer trostlosen Zeit. Sind wir erfüllt davon? Strahlen wir die Freude des Glaubens aus? Quelle: CNA Deutsch, 01. Mai, 2021  Autor: Dr. Thorsten Paprotny

Mission – Auftrag der Kirche Weiterlesen »

Die Zeit der Sendung

Geistliche Betrachtungen zu den Enzykliken des hl. Johannes Pauls II. – Teil 13 Papst Johannes Paul II. im März 2000 in Jerusalem Foto: Paul Badde / EWTN Zu den größten Versuchungen des Christen gehört – neben Selbstzufriedenheit und Lauheit – die fruchtlose Selbstbeschäftigung. Die Sehnsucht nach Gott ist real. Wird ihr entsprochen? Oder steht der Sehnsucht eine verweltlichte Kirche entgegen und erstickt diese mit einem larmoyanten Dialogtheater, narkotischen Diskursen und kirchenpolitischen Reformagenden? Der heilige Johannes Paul II. hat vor säkularen Sackgassen gewarnt – und, wie das Zweite Vatikanische Konzil, den Sendungsauftrag hervorgehoben. So wie die Apostel pfingstlich in die Welt geschickt wurden, um das Evangelium zu verkünden, so hat auch der Papst in seinem Pontifikat bis in das letzte Lebensjahr hinein Reisen unternommen, um Zeugnis abzulegen für den gekreuzigten und auferstandenen Herrn, um Gläubige in aller Welt zu bestärken und zu ermutigen – und um den Suchenden wirklich nahe zu sein. Zu den großen Enzykliken seines Pontifikats gehört „Redemptoris missio“, publiziert am 7. Dezember 1990 – ein notwendiges Lehrschreiben besonders für die erschöpft anmutende Christenheit in Europa und Nordamerika, damals wie heute. Wer traute sich 1990, Zeugnis für Christus und seine Kirche abzulegen? Wer ist heute bereit, beispielhaft sich zum Herrn zu bekennen? Ich erinnere mich an Mäkeleien damals, die im Raum der Kirche artikuliert wurden – und an die offenkundig törichte Wendung: „Jesus ja – Kirche nein!“ Es gab immerzu neue Jesus-Bücher und Jesus-Bilder, aber die Rede von Gott wurde zaghafter und leiser. Mancherorts fühlten sich Christen beschämt, sich als Glied der Kirche zu bekennen. Johannes Paul II. trat diesen Bewegungen entgegen und schrieb über Mission, also über Evangelisierung und Verkündigung. 1990 beobachtete der Papst – wir sehen heute Vergleichbares dazu – konzilswidrige Entwicklungen, mitten in der Kirche: „In diesem »neuen Frühling« des Christentums kann jedoch nicht eine negative Tendenz übersehen werden, der mit diesem Schreiben begegnet werden soll: die eigentliche Sendung ad gentes scheint nachzulassen, was gewiß nicht den Weisungen des Konzils und den damit zusammenhängenden Aussagen des Lehramtes entspricht. Innere und äußere Schwierigkeiten haben den missionarischen Schwung im Hinblick auf die Nicht-Christen erlahmen lassen. Diese Tatsache muß allen, die an Christus glauben, zu denken geben. In der Geschichte der Kirche ist die Befolgung des missionarischen Auftrages immer ein Zeichen kraftvollen Lebens gewesen, wie die Nachlässigkeit diesem gegenüber Zeichen einer Glaubenskrise ist.“  Schwung zeigten eher die Kritiker der Kirche. Heute verstehen sich einige von ihnen als Erneuerer des Glaubens – und weisen doch bloß Wege zu einem faden Deutschkatholizismus, bräsig, bieder und saturiert. Johannes Paul II. formuliert mit apostolischer Leidenschaft: „Durch die Mission wird die Kirche tatsächlich erneuert, Glaube und christliche Identität werden bestärkt und erhalten neuen Schwung und neue Motivation. Der Glaube wird stark durch Weitergabe! Die neue Evangelisierung der christlichen Völker findet Anregung und Halt im Einsatz für die sich weltweit betätigende Mission.“ Erinnern Sie sich noch, wann Sie zuletzt von Ihrem Glauben an den dreifaltigen Gott erzählt haben? Wir hören nicht selten, wie sich Zeitgenossen scheinbar dafür entschuldigen, noch nicht die Kirche verlassen zu haben. Der Papst schreibt: „Das Evangelium tut der Freiheit des Menschen, der anderen Kulturen gebührenden Achtung, allem Positiven in jeder Religion keinen Abbruch. Wenn ihr Christus aufnehmt, öffnet ihr euch dem endgültigen Wort Gottes, jenem gegenüber, in dem Gott sich restlos zu erkennen gab und uns den Weg zu ihm gewiesen hat. Die Zahl jener, die Christus nicht kennen und nicht zur Kirche gehören, ist ständig im Wachsen; seit dem Ende des Konzils hat sie sich sogar beinahe verdoppelt. Diese ungeheure Zahl von Menschen wird vom Vater, der für sie seinen Sohn gesandt hat, geliebt; die Dringlichkeit der Mission für sie liegt klar auf der Hand.“ Heute können wir vielleicht sagen: Wie groß ist die Zahl derer, die Christus nicht kennen möchten, die bewusst zwischen Christus und der Kirche unterscheiden und die sich zur Autonomie des Menschen bekennen – statt zum Herrn? Wirkmächtige Philosophien und Ideologien wie der Existenzialismus, der das Subjekt absolut setzt, haben nicht zu einer Befreiung des Menschen, sondern zu geistlichen Existenznöten geführt. Wie viele glauben heute, dass es wichtig sei, dem eigenen Gewissen zu folgen – und wie viele möchten vom kirchlich gebildeten Gewissen nichts mehr hören und wissen? Johannes Paul II. fragt: „Ist die Mission unter den Nicht-Christen noch aktuell? Wird sie vielleicht durch den Dialog unter den Religionen ersetzt? Ist die Förderung im Bereich des Menschlichen nicht eines ihrer Ziele, das genügt? Schließt nicht die Achtung vor dem Gewissen und vor der Freiheit jeden Bekehrungsversuch aus? Kann man nicht in jeder Religion gerettet werden? Warum also Mission?“ Bekehrung findet eher zu einer geschmeidigen Form des Säkularismus statt. Scheint nicht ein Welt-Ethos, wie dies der verstorbene Theologe Hans Küng empfohlen hatte, zeitgemäß und ein guter Ersatz für jede Art kirchlicher Moral zu sein? Genügt uns nicht die Aussicht auf eine luftige, höhere Vernunft, die irgendwie schon vorhanden sein mag, zu der wir uns autonom – wie es uns gefällt – bekennen können oder nicht? Man muss sicher bedenken, dass es in einer Zeit, in der sich viele Bischöfe – Lehrer der Kirche, des Evangeliums und des Glaubens – von der Lehre der Kirche distanzieren, nicht einfacher wird, sich ungeniert und freimütig auf Christus zu besinnen. Doch ist es notwendig. Der Glaube erst schenkt uns die wahre Freiheit und führt hinein in die Freude des Herrn. Johannes Paul II. ermutigt zu einem beherzten Glaubenszeugnis. Der Kirche – und damit jedem Einzelnen von uns – ist aufgetragen, von Gott zu sprechen: „Verkündigung und Zeugnis für Christus verletzen die Freiheit nicht, wenn sie mit Achtung vor dem Gewissen erfolgen. Der Glaube verlangt die freie Zustimmung des Menschen. … Die christlichen Glaubenszeugen aller Zeiten – auch unserer Zeit – gaben und geben ihr Leben, um diesen Glauben vor den Menschen zu bekennen, aus der Überzeugung heraus, daß jeder Mensch Jesus Christus braucht, der die Sünde und den Tod besiegt und die Menschen mit Gott versöhnt hat. Christus hat sich als Sohn Gottes bezeichnet, der in enger Verbindung mit dem Vater als solcher von den Jüngern anerkannt wurde und sein Wort durch

Die Zeit der Sendung Weiterlesen »

Nach oben scrollen