Geistliche Betrachtungen zu den Enzykliken des hl. Johannes Pauls II. – Teil 13
Zu den größten Versuchungen des Christen gehört – neben Selbstzufriedenheit und Lauheit – die fruchtlose Selbstbeschäftigung. Die Sehnsucht nach Gott ist real. Wird ihr entsprochen? Oder steht der Sehnsucht eine verweltlichte Kirche entgegen und erstickt diese mit einem larmoyanten Dialogtheater, narkotischen Diskursen und kirchenpolitischen Reformagenden?
Der heilige Johannes Paul II. hat vor säkularen Sackgassen gewarnt – und, wie das Zweite Vatikanische Konzil, den Sendungsauftrag hervorgehoben. So wie die Apostel pfingstlich in die Welt geschickt wurden, um das Evangelium zu verkünden, so hat auch der Papst in seinem Pontifikat bis in das letzte Lebensjahr hinein Reisen unternommen, um Zeugnis abzulegen für den gekreuzigten und auferstandenen Herrn, um Gläubige in aller Welt zu bestärken und zu ermutigen – und um den Suchenden wirklich nahe zu sein. Zu den großen Enzykliken seines Pontifikats gehört „Redemptoris missio“, publiziert am 7. Dezember 1990 – ein notwendiges Lehrschreiben besonders für die erschöpft anmutende Christenheit in Europa und Nordamerika, damals wie heute. Wer traute sich 1990, Zeugnis für Christus und seine Kirche abzulegen? Wer ist heute bereit, beispielhaft sich zum Herrn zu bekennen? Ich erinnere mich an Mäkeleien damals, die im Raum der Kirche artikuliert wurden – und an die offenkundig törichte Wendung: „Jesus ja – Kirche nein!“ Es gab immerzu neue Jesus-Bücher und Jesus-Bilder, aber die Rede von Gott wurde zaghafter und leiser. Mancherorts fühlten sich Christen beschämt, sich als Glied der Kirche zu bekennen. Johannes Paul II. trat diesen Bewegungen entgegen und schrieb über Mission, also über Evangelisierung und Verkündigung. 1990 beobachtete der Papst – wir sehen heute Vergleichbares dazu – konzilswidrige Entwicklungen, mitten in der Kirche: „In diesem »neuen Frühling« des Christentums kann jedoch nicht eine negative Tendenz übersehen werden, der mit diesem Schreiben begegnet werden soll: die eigentliche Sendung ad gentes scheint nachzulassen, was gewiß nicht den Weisungen des Konzils und den damit zusammenhängenden Aussagen des Lehramtes entspricht. Innere und äußere Schwierigkeiten haben den missionarischen Schwung im Hinblick auf die Nicht-Christen erlahmen lassen. Diese Tatsache muß allen, die an Christus glauben, zu denken geben. In der Geschichte der Kirche ist die Befolgung des missionarischen Auftrages immer ein Zeichen kraftvollen Lebens gewesen, wie die Nachlässigkeit diesem gegenüber Zeichen einer Glaubenskrise ist.“ Schwung zeigten eher die Kritiker der Kirche. Heute verstehen sich einige von ihnen als Erneuerer des Glaubens – und weisen doch bloß Wege zu einem faden Deutschkatholizismus, bräsig, bieder und saturiert. Johannes Paul II. formuliert mit apostolischer Leidenschaft: „Durch die Mission wird die Kirche tatsächlich erneuert, Glaube und christliche Identität werden bestärkt und erhalten neuen Schwung und neue Motivation. Der Glaube wird stark durch Weitergabe! Die neue Evangelisierung der christlichen Völker findet Anregung und Halt im Einsatz für die sich weltweit betätigende Mission.“ Erinnern Sie sich noch, wann Sie zuletzt von Ihrem Glauben an den dreifaltigen Gott erzählt haben? Wir hören nicht selten, wie sich Zeitgenossen scheinbar dafür entschuldigen, noch nicht die Kirche verlassen zu haben.
Der Papst schreibt: „Das Evangelium tut der Freiheit des Menschen, der anderen Kulturen gebührenden Achtung, allem Positiven in jeder Religion keinen Abbruch. Wenn ihr Christus aufnehmt, öffnet ihr euch dem endgültigen Wort Gottes, jenem gegenüber, in dem Gott sich restlos zu erkennen gab und uns den Weg zu ihm gewiesen hat. Die Zahl jener, die Christus nicht kennen und nicht zur Kirche gehören, ist ständig im Wachsen; seit dem Ende des Konzils hat sie sich sogar beinahe verdoppelt. Diese ungeheure Zahl von Menschen wird vom Vater, der für sie seinen Sohn gesandt hat, geliebt; die Dringlichkeit der Mission für sie liegt klar auf der Hand.“ Heute können wir vielleicht sagen: Wie groß ist die Zahl derer, die Christus nicht kennen möchten, die bewusst zwischen Christus und der Kirche unterscheiden und die sich zur Autonomie des Menschen bekennen – statt zum Herrn? Wirkmächtige Philosophien und Ideologien wie der Existenzialismus, der das Subjekt absolut setzt, haben nicht zu einer Befreiung des Menschen, sondern zu geistlichen Existenznöten geführt. Wie viele glauben heute, dass es wichtig sei, dem eigenen Gewissen zu folgen – und wie viele möchten vom kirchlich gebildeten Gewissen nichts mehr hören und wissen? Johannes Paul II. fragt: „Ist die Mission unter den Nicht-Christen noch aktuell? Wird sie vielleicht durch den Dialog unter den Religionen ersetzt? Ist die Förderung im Bereich des Menschlichen nicht eines ihrer Ziele, das genügt? Schließt nicht die Achtung vor dem Gewissen und vor der Freiheit jeden Bekehrungsversuch aus? Kann man nicht in jeder Religion gerettet werden? Warum also Mission?“
Bekehrung findet eher zu einer geschmeidigen Form des Säkularismus statt. Scheint nicht ein Welt-Ethos, wie dies der verstorbene Theologe Hans Küng empfohlen hatte, zeitgemäß und ein guter Ersatz für jede Art kirchlicher Moral zu sein? Genügt uns nicht die Aussicht auf eine luftige, höhere Vernunft, die irgendwie schon vorhanden sein mag, zu der wir uns autonom – wie es uns gefällt – bekennen können oder nicht? Man muss sicher bedenken, dass es in einer Zeit, in der sich viele Bischöfe – Lehrer der Kirche, des Evangeliums und des Glaubens – von der Lehre der Kirche distanzieren, nicht einfacher wird, sich ungeniert und freimütig auf Christus zu besinnen. Doch ist es notwendig. Der Glaube erst schenkt uns die wahre Freiheit und führt hinein in die Freude des Herrn. Johannes Paul II. ermutigt zu einem beherzten Glaubenszeugnis. Der Kirche – und damit jedem Einzelnen von uns – ist aufgetragen, von Gott zu sprechen: „Verkündigung und Zeugnis für Christus verletzen die Freiheit nicht, wenn sie mit Achtung vor dem Gewissen erfolgen. Der Glaube verlangt die freie Zustimmung des Menschen. … Die christlichen Glaubenszeugen aller Zeiten – auch unserer Zeit – gaben und geben ihr Leben, um diesen Glauben vor den Menschen zu bekennen, aus der Überzeugung heraus, daß jeder Mensch Jesus Christus braucht, der die Sünde und den Tod besiegt und die Menschen mit Gott versöhnt hat. Christus hat sich als Sohn Gottes bezeichnet, der in enger Verbindung mit dem Vater als solcher von den Jüngern anerkannt wurde und sein Wort durch Wunder und durch die Auferstehung von den Toten als wahr erwiesen hat. Die Kirche bietet den Menschen das Evangelium an, ein prophetisches Dokument, das Antworten gibt auf die Fragen und Anliegen des Menschenherzens und immer »gute Nachricht« ist. Die Kirche kann nicht davon Abstand nehmen zu verkünden, daß Jesus gekommen ist, um das Antlitz Gottes zu offenbaren und durch Kreuz und Auferstehung für alle Menschen das Heil zu verdienen.“ Fürchten wir uns also nicht, zu Christus zu stehen. Mögen wir alle – ganz im Sinne des heiligen Johannes Pauls II. – keine Angst davor haben, im Credo der Kirche verwurzelt zu sein und dies auf unsere ganz eigene Weise zu bezeugen.
Quelle: CNA Deutsch, 24. April, 2021
Autor: Dr. Thorsten Paprotny