Geistliche Betrachtungen zu den Enzykliken des hl. Johannes Pauls II. – Teil 8
Die Erneuerung der Kirche ist ein weithin beliebtes Thema in der Verkündigung selbst, auch für Johannes Paul II. Es geht aber nicht um strukturelle Fragen oder die Debatte um den Zugang zu Weiheämtern. In der Kirche Gottes wirkt der Heilige Geist. Wer sich auf den Heiligen Geist besinnt, kehrt sich ab vom Geist der Weltlichkeit. Johannes Paul II. veröffentlichte am 18. Mai 1986 die Enzyklika „Dominum et vivicantem“, ein Lehrschreiben, in dem er über den Heiligen Geist und sein Wirken in der Kirche Jesu Christi nachdenkt. Das Zweite Vatikanische Konzil habe das Pfingstfest als den Tag der „Geburt der Kirche“ bezeichnet: „Die Zeit der Kirche hat in jenem Augenblick begonnen, als die Verheißungen und Ankündigungen, die sich so ausdrücklich auf den Beistand, auf den Geist der Wahrheit, bezogen, anfingen, sich in aller Macht und Deutlichkeit an den Aposteln zu erfüllen und so die Geburt der Kirche zu bewirken. Hiervon spricht ausführlich und an vielen Stellen die Apostelgeschichte, aus der sich ergibt, daß der Heilige Geist im Bewußtsein der Urgemeinde, deren Überzeugungen Lukas wiedergibt, die unsichtbare – in gewisser Weise aber auch »wahrnehmbare« – Führung derer übernommen hat, die sich nach dem Fortgang des Herrn Jesus zutiefst als Waisen zurückgelassen fühlten. Mit dem Kommen des Geistes sahen sie sich nun in die Lage versetzt, die ihnen anvertraute Sendung zu erfüllen. Sie fühlten sich voller Kraft. Ebendies hat der Heilige Geist bewirkt, und das bewirkt er in der Kirche ständig in ihren Nachfolgern. Das Gnadengeschenk des Heiligen Geistes, das die Apostel durch die Auflegung der Hände an ihre Mitarbeiter weitergaben, wird ja in der Bischofsweihe immer wieder übertragen. Die Bischöfe ihrerseits geben im Weihesakrament den geistlichen Anteil an dieser Gnadengabe und sorgen dafür, daß im Firmsakrament alle, die wiedergeboren sind aus dem Wasser und dem Geist, darin bestärkt werden. So bleibt die Pfingstgnade in gewisser Weise immer in der Kirche gegenwärtig.“
Heute werden charismatische Bewegungen oft mit Skepsis und Sorge beobachtet. Einige stehen unter dem Verdacht des Fundamentalismus. Es bedarf sicher stets einer genauen und sorgfältigen Unterscheidung im Licht des Evangeliums. Geradezu verstörend scheint es heute zu sein, wenn einfach gläubige Katholiken sich nicht zu Agenden von Reformkräften, sondern schlicht zum Credo der Kirche bekennen. Auch Bischöfe, die furchtlos für das Evangelium und die Lehre der Kirche aller Zeiten und Orte einstehen, ob gelegen oder ungelegen – Kardinal Joachim Meisner und Erzbischof Johannes Dyba stehen für dieses Zeugnis –, wurden zu ihrer Zeit als konservativ tituliert, aber auch als charismatisch wahrgenommen, etwa aufgrund ihres beherzten Einsatzes für den Schutz des ungeborenen Lebens. Das wesentliche Charisma des Christen ist also die unverbrüchliche Treue zum dreifaltigen Gott, das Verwurzelt-Sein im Glauben der Kirche Gottes.
Doch was sagt der Heilige Geist der Kirche heute in dieser Zeit? Wie gelingt es uns, die „Zeichen der Zeit“ im Licht des Evangeliums zu deuten? Heute besteht vielleicht die Versuchung, dass die Wirklichkeit der Sünde in neuen Philosophien und Theologien als »Lebenswirklichkeit« bestätigt werden soll. Manche Bischöfe wollen sogar den Katechismus umschreiben. Doch was im Gegensatz zur Lehre der Kirche aller Zeiten und Orte steht, kann nicht mit dem Wirken des Heiligen Geistes identifiziert werden. Der heilige Johannes Paul II. spricht davon, dass der Heilige Geist natürlich nicht Formen der Sünde in der Welt bestätigt und bekräftigt, sondern die Welt der Sünde überführt: „Der Heilige Geist, der vom Sohn das Werk der Erlösung der Welt übernimmt, übernimmt eben damit die Aufgabe, »der Sünde zu überführen«, um zu heilen. Dieses Überführen steht in ständiger Beziehung zur »Gerechtigkeit«, das heißt zum endgültigen Heil in Gott, zur Vollendung der Heilsökonomie, deren Mitte der gekreuzigte und verherrlichte Christus ist. Diese Heilsökonomie Gottes entzieht den Menschen gewissermaßen dem »Gericht«, der Verdammung, von der die Sünde Satans, des »Herrschers dieser Welt«, betroffen ist, der aufgrund seiner Sünde »Beherrscher dieser finsteren Welt« geworden ist. Durch einen solchen Bezug zum »Gericht« eröffnet sich ein weiter Horizont für das Verständnis von »Sünde« und auch von »Gerechtigkeit«. Indem der Heilige Geist vor dem Hintergrund des Kreuzes Christi die Sünde in der Heilsökonomie (sozusagen »die erlöste Sünde«) aufzeigt, läßt er uns zugleich verstehen, wie es auch zu seiner Sendung gehört, jener Sünde zu »überführen«, die schon endgültig verurteilt ist (»die verurteilte Sünde«).“
Begriffe wie Sünde und Gericht machen vielen Christen und Theologen zu schaffen. Ist das noch zeitgemäß, davon zu sprechen? Einige fragen sich, ob diese Wörter nicht einfach entsorgt und neu übersetzt werden können. Ist die Sünde nicht eher eine menschliche Schwäche oder ein kleiner Fehler? Sind Satan und das Böse nicht psychologisch erklärbar? Dürfen wir als Christen überhaupt noch vom Gericht am Ende der Welt sprechen? Wer nimmt uns dann noch ernst in der modernen Gesellschaft? Wird am Ende nicht alles irgendwie doch gut ausgesehen, nett und heimelig? Johannes Paul II. wurde nicht müde, die Frohe Botschaft zu verkünden, unverkürzt und geschmälert – und darum konnte er die Wirklichkeit der Sünde nicht leugnen. Eine Kirche, die sich vom Begriff Sünde verabschiedet, wäre dem Evangelium selbst entfremdet. Der heilige Paul VI. sprach Jahre zuvor davon, dass der „Rauch Satans“ in die Kirche Gottes eingezogen sei – und dachte dabei an die Wirrnisse in der Nachkonzilszeit. Johannes Paul II. richtet den Blick auf die Enthüllung dessen, was Sünde ist, denn der Heilige Geist sei der „Geist der Wahrheit“. Es gelte, „mit ganzem Glaubensrealismus die Situation der Sünde in der gegenwärtigen Welt aufzuzeigen und auch ihr Wesen von verschiedenen Seiten her zu erklären“. Sünde ist auch Unglaube und Glaubensabfall, Sünde ist die Abwendung von Gott und vom Nächsten. Der heilige Papst stellt fest, dass es offenkundig sei, dass der „Umfang der Bedeutung von Sünde schließlich universale Ausmaße annimmt aufgrund der Universalität der Erlösung, die durch das Kreuz vollbracht worden ist. Die Offenbarung des Geheimnisses der Erlösung eröffnet den Weg zu einem Verständnis, in dem jede Sünde, wo und wann auch immer sie begangen wurde, auf das Kreuz Christi bezogen wird – und so indirekt auch auf die Sünde jener, die »nicht an ihn geglaubt haben«, indem sie Jesus Christus zum Tod am Kreuz verurteilt haben.“
Im Zeitalter des Relativismus wird mitunter die Unterscheidung von Gut und Böse bestritten. Ist nicht alles vom subjektiven Standpunkt, von der jeweiligen Situation, in der sich ein Einzelner befindet, abhängig? Sünde ist Sünde – und nicht eine bloß persönliche Betrachtungsweise. Johannes Paul II. hebt hervor, dass der Mensch Gott gegenüber gehorsam sein kann oder nicht: „Der »Ungehorsam« bedeutet genau die Überschreitung jener Grenze, die doch für Willen und Freiheit des Menschen als eines geschaffenen Wesens unüberschreitbar bleibt. Gott, der Schöpfer, ist nämlich die einzige und entscheidende Quelle der sittlichen Ordnung in der Welt, die von ihm geschaffen ist. Der Mensch kann nicht aus sich selbst entscheiden, was gut und was böse ist – er kann nicht wie Gott »Gut und Böse erkennen«.“
Manche Menschen glauben, dass sie Gut und Böse erkennen und unterscheiden können. Einige sind der Auffassung, dass die Kirche die Orientierung verloren habe, von den postmodernen Lebenswirklichkeiten nichts mehr verstehe und dass sie ihre Morallehre neu erfinden müsse. Johannes Paul II. erinnert nachdrücklich daran, dass Gott die Mitte der Kirche ist. In gleicher Weise macht der Papst auf die erschreckende Realität des Glaubensabfalls aufmerksam. Wer aber den Heiligen Geist empfängt und in sich wirken lässt, erlebt vielleicht auch heute noch die Schönheit der Bekehrung zu Gott und zur Kirche des Herrn.
Quelle: CNA Deutsch, 20. März, 2021
Autor: Dr. Thorsten Paprotny