Geistliche Betrachtungen zu den Enzykliken des hl. Johannes Pauls II. – Teil 1
Am 4. März 1979 veröffentlicht Johannes Paul II. die erste Enzyklika seines Pontifikats – „Redemptor hominis“. Eingewoben in das Lehrschreiben sind Erinnerungen an geistliche Wegmarken und an den Tag, als er zum Stellvertreter Christi bestellt wurde. Nach dem Tod des hl. Pauls VI. war der Mailänder Kardinalerzbischof Albino Luciani zum Pontifex gewählt worden. Nur 33 Tage später erlag er seinem Herzleiden. Mit Staunen und Hoffnung begrüßten die Gläubigen sodann Johannes Paul II., der im Alter von 58 Jahren als Diener der Diener Christi auf die mittlere Loggia des Petersdoms trat. Die Vorbehalte ihm gegenüber, besonders in den kommunistischen Ländern, waren sehr groß und, wie sich mit den Jahren zeigen sollte, begründet. Kompromisslos trat Johannes Paul II. den Formen totaler Herrschaft entgegen, weil er ganz auf die Wahrheit Jesu Christi vertraute. Damit widersprach er allen Spielarten von Ideologien. Auch den Kapitalismus kritisierte er energisch.
Zu Anfang dieser Reihe soll die erste Enzyklika vorgestellt werden. Was lehrt uns „Redemptor hominis“ heute? Auf welche Weise können wir auf das Lehrschreiben des Papstes zugehen, um ihn besser zu verstehen und ein geistliches Band zu ihm zu knüpfen? Johannes Paul II. ruft die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils ins Gedächtnis. Er appelliert daran, den Auftrag der Kirche in der Welt nicht mit geschmeidiger Anpassung an modische Strömungen oder mit Verwaltungsreformen zu verwechseln. Die Mitte der Kirche ist Jesus Christus, darum ist die Kirche „umfangen vom Geheimnis der Erlösung“. Von Christus muss die Kirche künden, sonst verfehlt sie ihre Bestimmung: „Hier nun drängt sich, liebe Brüder, Söhne und Töchter, nur eine grundsätzliche und wesentliche Antwort auf, und zwar: die einzige Ausrichtung des Geistes, die einzige Zielsetzung des Intellektes, des Willens und des Herzens ist für uns dieses: hin zu Christus, dem Erlöser des Menschen, zu Christus, dem Erlöser der Welt.“
Johannes Paul II. ruft auf zur Besinnung auf Christus. Ihm ist wichtig, dass die Gläubigen ihre Kräfte sammeln, sich auf gewisse Weise mit allen Fasern des Daseins, mit Herz und Verstand, dem Erlöser zuwenden und die Botschaft durch ihr Zeugnis in der Welt verkünden. Wenn die Kirche nicht von Christus spricht, kreist sie nur um sich selbst. Das „Geheimnis der Erlösung“ sei das „Grundprinzip ihres Lebens und ihrer Sendung“ – nichts anderes.
Klarsichtig weist Johannes Paul II. auf die Signaturen der Zeit hin und zeigt die Macht der Zerstörung auf, die vom technischen Fortschritt begünstigt wurde und zum Raubbau an der Natur geführt hat: „Es genügt an dieser Stelle, nur auf bestimmte Phänomene hinzuweisen wie die Gefahr der Umweltverschmutzung in Gegenden, wo eine schnelle Industrialisierung vonstatten geht, die bewaffneten Konflikte, die ausbrechen und sich andauernd wiederholen, oder die Aussicht auf eine mögliche Selbstzerstörung durch den Einsatz von Atomwaffen, der Wasserstoff- oder Neutronenbombe oder ähnlichem, die mangelnde Achtung vor dem ungeborenen Leben.“ Das ganze Pontifikat hindurch wird Johannes Paul II. Kriege ächten und für den Frieden werben. Angefeindet wird er werden in der westlichen Welt von allen, die seinen Einsatz für die ungeborenen Kinder als traditionalistisch und gestrig verhöhnen. Er wird nicht müde, die Abtreibung anzuprangern und sich für den Lebensschutz von der Empfängnis an einzusetzen. Auch die Bewahrung der Schöpfung nimmt Johannes Paul II. in den Blick, bewusst und aufmerksam. Umweltzerstörung ist eine Sünde. Der Mensch ist zum Hüter der Schöpfung bestellt. In der Moderne will er, so könnte man denken, Gott verdrängen. Er möchte Gott verkleinern oder leugnen und selbst allmächtig sein. Der Mensch glaubt an seine Autonomie und hält das Töten ungeborener Kinder im Namen der sogenannten Selbstbestimmung für gerechtfertigt. Mitleidlos kämpfen Menschen und Völker gegeneinander. Die Natur wird ausgebeutet. Der Mensch scheint seinen Ursprung vergessen zu haben. Er lebt, als ob er sich von Gott emanzipiert hätte oder ihm konsequent aus dem Weg gehen möchte.
Johannes Paul II. bekräftigt darum energisch die Wahrheit des Glaubens und verkündet die Botschaft von Gottes Barmherzigkeit. Er wird nicht müde werden, dies eindringlich und kraftvoll zu wiederholen: „Die Liebe ist vor allem größer als die Sünde, als die Schwachheit und die Vergänglichkeit des Geschaffenen, stärker als der Tod; es ist eine Liebe, die stets bereit ist, aufzurichten und zu verzeihen, stets bereit, dem verlorenen Sohn entgegenzugehen und immer auf der Suche ist nach dem »Offenbarwerden der Söhne Gottes«, die zur künftigen Herrlichkeit berufen sind. Diese Offenbarung der Liebe wird auch Barmherzigkeit genannt; diese Offenbarung der Liebe und der Barmherzigkeit hat in der Geschichte nur eine Form und einen Namen: sie heißt Jesus Christus.“ In der ersten Enzyklika, die noch weiter betrachtet werden wird, spricht der Papst von Gottes Liebe, vom Geschenk der Barmherzigkeit, die Gestalt angenommen hat in Jesus Christus. Er ermuntert die Gläubigen am 4. März 1979 und auch uns heute, dass wir uns nicht in uns selbst verschließen, nicht unsere eigenen Pläne verfolgen und nicht uns auf weltliche Art verwirklichen sollen, sondern Christus, der an die Tür unseres Herzens klopft, einlassen sollen in unser Leben, sodass wir, von ihm erfüllt, zu seinen Zeugen werden. Johannes Paul II. spricht von Gottes Liebe, die größer ist, als wir uns vorstellen können. Es ist die Liebe des barmherzigen Vaters, der die verlorenen und verschollenen Töchter und Söhne nicht aufgibt, sondern ihnen mit sehnsüchtigem Herzen nachgeht – und wenn es sein muss auch bis in die tiefsten Finsternisse dieser Welt, ja sogar bis in den Abgrund der Hölle hinein. Gottes Frage an uns ist stets dieselbe: Liebst du mich?
Quelle: CNA Deutsch, 30 January, 2021
Autor: Dr. Thorsten Paprotny