Geistliche Betrachtungen zu den Enzykliken des hl. Johannes Pauls II. – Teil 27
Eine Gesellschaft, die sich aufgeschlossen für die Versuchungen der Weltlichkeit zeigt, die sogenannte Lebensqualität mit Lustgewinn identifiziert und sich der Transzendenz verschließt, wird in der „Erfahrung des Lebens“ und bei der Begegnung mit dem „Geheimnis des Todes“ nicht von der Kraft des Glaubens getragen. Johannes Paul II. spricht in der Enzyklika „Evangelium vitae“ vom „Drama der Euthanasie“: „Denn wenn die Neigung vorherrscht, das Leben nur in dem Maße zu schätzen, wie es Vergnügen und Wohlbefinden mit sich bringt, erscheint das Leiden als eine unerträgliche Niederlage, von der man sich um jeden Preis befreien muss.“ Der Mensch tritt auf, als sei er das Maß aller Dinge, als könne er „in voller und vollständiger Autonomie über sein Leben entscheiden“. Über Sterbehilfe wird häufig wohlwollend gesprochen, als sei die Beihilfe zum Suizid ein Akt des Mitgefühls. Mit klaren Worten bezieht der heilige Papst gegen jede Form der Euthanasie Stellung: „Wir stehen hier vor einem der alarmierendsten Symptome der »Kultur des Todes«, die vor allem in den Wohlstandsgesellschaften um sich greift, die von einem Leistungsdenken gekennzeichnet sind, das die wachsende Zahl alter und geschwächter Menschen als zu belastend und unerträglich erscheinen lässt.“ Johannes Paul II. bekräftigt aber die Lehre der Kirche, dass „Euthanasie eine schwere Verletzung des göttlichen Gesetzes ist, insofern es sich um eine vorsätzliche Tötung einer menschlichen Person handelt, was sittlich nicht zu akzeptieren ist“: „Diese Lehre ist auf dem Naturrecht und auf dem geschriebenen Wort Gottes begründet, von der Tradition der Kirche überliefert und vom ordentlichen und allgemeinen Lehramt der Kirche gelehrt. Eine solche Handlung setzt, je nach den Umständen, die Bosheit voraus, wie sie dem Selbstmord oder dem Mord eigen ist.“ Geboten sei ein „Weg der Liebe und des echten Mitleids“, so sollten Angehörige und Freunde die Leidenden und Sterbenden auf der letzten Wegstrecke begleiten: „Sterben für den Herrn heißt den eigenen Tod als letzten Gehorsamsakt gegenüber dem Vater erleben (vgl. Phil 2, 8), indem wir die Begegnung mit dem Tod in der von Ihm gewollten und beschlossenen »Stunde« annehmen (vgl. Joh. 13, 1), der allein zu sagen vermag, wann unser irdischer Weg zu Ende ist. Leben für den Herrn heißt auch anerkennen, dass das Leid, auch wenn es an sich ein Übel und eine Prüfung bleibt, immer zu einer Quelle des Guten werden kann. Das ist der Fall, wenn es aus Liebe und mit Liebe, aus freiwilliger Hingabe an Gott und aus freier persönlicher Entscheidung in der Teilhabe am Leiden des gekreuzigten Christus selber gelebt wird. Auf diese Weise wird der, der sein Leiden im Herrn lebt, Ihm vollkommener ähnlich (vgl. Phil 3, 10; 1 Petr 2, 21) und hat zutiefst teil an seinem Erlösungswerk für die Kirche und die Menschheit.“
Vertieft reflektiert Johannes Paul II. die „Anschläge auf das menschliche Leben“, die Abtreibung und Euthanasie bleiben, auch wenn sie gesetzlich legitimiert sind. Staatliches Recht kann dem Naturrecht und dem Sittengesetz entgegenstehen, aber nicht außer Kraft setzen: „Nicht selten wird behauptet, das Leben eines ungeborenen oder eines sich in völliger Schwäche befindlichen Menschen sei nur ein relatives Gut: entsprechend einer Logik der Verhältnismäßigkeit oder des kalten Kalküls sollte es mit anderen Gütern verglichen und abgewogen werden.“ Mit der Lehre der katholischen Kirche ist ein solches Denken unvereinbar: „Die radikalsten Meinungsäußerungen gehen schließlich soweit zu behaupten, in einer modernen und pluralistischen Gesellschaft müsste jedem Menschen volle Autonomie zuerkannt werden, über das eigene Leben und das Leben des ungeborenen Kindes zu verfügen: die Wahl und Entscheidung zwischen den verschiedenen Moralauffassungen wäre in der Tat nicht Sache des Gesetzes, und noch weniger könnte es sich die Auferlegung einer einzelnen dieser Auffassungen zum Nachteil der anderen anmaßen.“ Deutlich kennzeichnet Johannes Paul II. die Signaturen des Relativismus: „Manche behaupten, dieser Relativismus sei eine Voraussetzung für die Demokratie, weil nur er Toleranz, gegenseitige Achtung der Menschen untereinander und Bindung an die Entscheidungen der Mehrheit gewährleisten würde, während die als objektiv und bindend angesehenen sittlichen Normen zu Autoritarismus und Intoleranz führen würden. Doch gerade die Problematik der Achtung vor dem Leben zeigt, welche Missverständnisse und Widersprüche, begleitet von entsetzlichen praktischen Folgen, sich hinter dieser Einstellung verbergen.“ Wie aber ist damit umzugehen, wenn Parlamente solche Gesetze beschließen, wenn oberste Gerichte Euthanasie und Abtreibung für zulässig erklären? Johannes Paul II. antwortet darauf unmissverständlich: „Die Gesetze, die Abtreibung und Euthanasie zulassen und begünstigen, stellen sich also nicht nur radikal gegen das Gut des einzelnen, sondern auch gegen das Gemeinwohl und sind daher ganz und gar ohne glaubwürdige Rechtsgültigkeit. Tatsächlich ist es die Nicht-Anerkennung des Rechtes auf Leben, die sich, gerade weil sie zur Tötung des Menschen führt — in dessen Dienst zu stehen die Gesellschaft ja den Grund ihres Bestehens hat —, am frontalsten und irreparabel der Möglichkeit einer Verwirklichung des Gemeinwohls entgegenstellt. Daraus folgt, dass ein staatliches Gesetz, wenn es Abtreibung und Euthanasie billigt, eben darum kein wahres, sittlich verpflichtendes staatliches Gesetz mehr ist. Abtreibung und Euthanasie sind also Verbrechen, die für rechtmäßig zu erklären sich kein menschliches Gesetz anmaßen kann. Gesetze dieser Art rufen nicht nur keine Verpflichtung für das Gewissen hervor, sondern erheben vielmehr die schwere und klare Verpflichtung, sich ihnen mit Hilfe des Einspruchs aus Gewissensgründen zu widersetzen.“ Der heilige Papst erinnert zugleich daran, woran ein gläubiger Christ gebunden bleibt: „Wie alle Menschen guten Willens sind die Christen aufgerufen, aus ernster Gewissenspflicht nicht an jenen Praktiken formell mitzuwirken, die, obgleich von der staatlichen Gesetzgebung zugelassen, im Gegensatz zum Gesetz Gottes stehen. Denn unter sittlichem Gesichtspunkt ist es niemals erlaubt, formell am Bösen mitzuwirken. Solcher Art ist die Mitwirkung dann, wenn die durchgeführte Handlung entweder auf Grund ihres Wesens oder wegen der Form, die sie in einem konkreten Rahmen annimmt, als direkte Beteiligung an einer gegen das unschuldige Menschenleben gerichteten Tat oder als Billigung der unmoralischen Absicht des Haupttäters bezeichnet werden muss.“
Quelle: CNA Deutsch, 31. July, 2021
Autor: Dr. Thorsten Paprotny