Adventeinkehrtag für die Gebetsgemeinschaft der Freunde des Heiligen Kreuzes am 2. Adventsonntag, 9.Dezemher 2007 gehalten von Prof. P. Dr. Bernhard Vošicky OCist
Vortrag 1
Es handelt sich um einen Traum von der Theologie des Leibes, einen Traum den Papst Johannes Paul II., er wird jetzt gerne Johannes Paul der Große genannt, zeitlebens geträumt hat. Im Bezug auf die Theologie des Leibes ist das Empfinden des verstorbenen Papstes weiter und offener als sein Denken. Bei uns ist das ebenso! Unser Denken ist auf gewisse Dinge reduziert. Unser Empfinden und Fühlen geht weit darüber hinaus. Wir können feststellen, dass Johannes Paul II. (und vorher Karol Wojtyła als Universitätsprofessor für Ethik und Moraltheologie tätig an der Jagellonen- Universität in Krakau) mit Worten oft zurückhallend ist, obwohl er immer sagt, was er denkt. Aber er sagt nicht alles, was er empfindet. Es gibt Augenblicke, in denen das Empfinden im Vordergrund steht und nicht so sehr dos Wort. Wir glauben zu verstehen, dass das, was dieser mutige Papst hinsichtlich der menschlichen Liebe und ihres von den Theologen vernachlässigten Glanzstückes – des Leibes empfindet, ein großes Geschenk für seine Kirche sein könnte. Er war ja in seiner Jugend Schauspieler und hat im rhapsodischen Theater in Krakau gewirkt. Dort musste er natürlich auch den leiblichen Ausdruck dem Publikum übermitteln. Was nützt der beste Schauspieler, wenn er sich nur im Wort ausdrückt? Er muss sich auch mit dem Leib ausdrücken. Was die Seele empfindet und fühlt, kommt dann im Leib zum Ausdruck. Wahrscheinlich vertritt er denkerisch nicht wirklich eine Theologie des Leibes, aber Karol Wojtyła empfindet die Theologie des Leibes, er präsentiert sie und er wünscht sie sich. Wir können sagen, er träumt von ihr. Dieser Traum ist nicht ausgeträumt, wenn wir Bilder oder Dokumente in Filmen und Fernsehaufzeichnungen von ihm sehen. Im heutigen Einkehrtag möchten wir den Traum Johannes Paul II. näher kennen lernen und über die Worte, mit denen er uns davon erzählt hat, hinausgehen. Natürlich möchte ich im 1. Vortrag nicht alles, was mein Herz bewegt, bringen.
Warum? Es ist mir unmöglich, denn wie soll man Gefühle, Empfindungen, Sehnsüchte der Seele und des Herzens zur Sprache bringen. Sie können sich nur in Gesten, vielleicht auch in Tränen oder im Lachen ausdrücken.
Erinnern wir uns, wie Johannes Paul II. gelächelt, vielleicht auch geweint oder umarmt hat, wie er Kinder an sich gedrückt hat, wie er Menschen in die Augen geschaut hat!
Es ist nicht nur eine Sprache des Mundes, der Lippen und der Zunge, sondern eine Sprache des Leibes durch Gesten, aber nicht nur der Mimik, sondern auch des Herzens und der Seele.
Leiblich wird ja oft ausgedrückt, was Seele und Herz empfinden, ersehnen und erwünschen. So können wir nur erahnen, was Johannes Paul II., der große Papst ausdrücken, empfinden und sogen wollte. Damit aber unsere Ahnung ein Fundament hat, müssen wir nicht nur auf seine Worte hören, sondern auch seine Gesten beobachten, vor allem Gesten körperlicher Nähe und Zärtlichkeit. Diese leiblichen Gesten hatte Papst Johannes Paul ll. gegenüber allen Gesprächspartnern, auch jungen Frauen gegenüber. Er hat sich nicht geniert und sich auch keinen Zwang aufgelegt. Er war ganz spontan.
Wir müssen uns die Geschichte seiner mehr als 30 Jahre vom Neupriester bis zum Kardinal vor Augen halten. Da gab es immer Beziehungen zu jungen Ehepaaren und Liebeserfahrungen, die er vor Augen hatte.
lm Buch „Die Schwelle der Hoffnung überschreiten“ S.145 heißt es: „Als junger Priester
lernte ich die menschliche Liebe zu lieben. “ Wenn das gewisse Enthüllungsjournalisten entdeckten, wäre dies schon ein Punkt zur Anklage. Aber ist es nicht schön, wahr und aufrichtig gesagt? In seinem Buch fasst er zusammen: „Wenn ich die Schwelle der Hoffnung überschreite, dann möchte ich jene Erfahrung ausdrücken, die für meinen Lebensweg als entscheidend betrachtet werden kann„.
Auch wir betrachten es als entscheidend für sein Papstbild. Er ist ein Papst, der in die Liebe verliebt und ein zutiefst menschlicher Papst ist. Das wünschen wir uns doch auch!
Wir wünschen uns einen, der die menschliche Liebe nicht verschmäht oder hintenansetzt, sondern sie würdigt. Wenn er über die Liebe spricht, wird seine Sprache ganz kühn und verwegen. Man hat oft den Eindruck, dass, wenn er seine Konzepte, die er aufgesetzt hat, weglegt, sein Herz zu glühen beginnt. Die Flammen seines Herzens schlagen aus seinem inneren hervor und erfassen den Mitmenschen. Johannes Paul II. spricht nicht nur von einer Theologie des Leibes, sondern sogar von einer Theologie der Sexualität. 14. November 1979 : „Die Theologie des Leibes wird in gewisser Weise auch zur Theologie der Sexualität oder vielmehr zu einer Theologie der Männlichkeit und der Weiblichkeit. Eine solche Theologie hat die Aufgabe, den Grund und die Folgen der Entscheidung des Schöpfers zu verstehen, dass der Mensch immer nur als Frau oder als Mann existiert„.
Die beiden Existenzweisen des Menschen als Frau oder als Mann nimmt er in dem Schreiben „Mulieres dignitatem Nr.1″ ganz ernst. Die wichtigste Konsequenz ist die, dass der Mensch von Natur aus ein Beziehungswesen ist. Weil der Mensch als Mann und Frau geschaffen worden ist, ist der Mensch ein Beziehungswesen. Dos heißt, man kommt ohne diese Beziehung nicht aus. Leben ist Beziehung. Liebe ist Beziehung. Christliches Leben besteht aus Beziehung.
Daher darfst du dich nicht wundern, dass du auf Beziehungen angewiesen bist. Du bist nicht als Vereinzelter, als Monade in dieser Welt, sondern du lebst zeitlebens immer in Beziehungen.
In der Fachsprache heißt das – Analogie – immer in Beziehung auf, in Beziehung zu Gott und den Mitmenschen. So ist dein Leben! Ohne diese Beziehungen ist dein Leben leer, unfruchtbar und steril.
Die wichtigste Konsequenz ist die, dass der Mensch von Natur aus ein Beziehungswesen ist. Diese Natur des Menschen äußert sich in der ehelichen Dimension des Leibes, also in seiner Fähigkeit die Liebe auszudrücken, die Liebe leiblich zum Ausdruck zu bringen. Sie findet ihre Vollendung in der Verbindung von Mann und Frau, verstanden als Einheit der zwei. Sie sind nicht mehr zwei, sondern eins. Einheit der zwei, wo die eheliche Liebe, die ihren vollen Ausdruck in der sexuellen Vereinigung als gegenseitige Hingabe findet, zum Modell jeder Liebe wird.
Was ist das Modell jeder Liebe? Es ist die Hingabe des Vaters an den Sohn und die Hingabe des Sohnes an den Vater. Die Liebe in Gott! Die gegenseitige Hingabe von Vater und Sohn und Sohn und Vater ist wieder Person, ist Hl. Geist, ist der Geist der Liebe.
Wunderschön drückt das der hl. Bernhard von Clairvaux aus. Auch er ist ein Verfechter der Theologie des Leibes, allerdings im 12.Jahrhundert. Er vergleicht die Trinität, die Dreifaltigkeit – Gott Vater, Gott Sohn und Gott Hl. Geist mit der menschlichen Liebe. Er zitiert das Alte Testament, Hohes Lied 1, 1 :“ich küsse dich mit dem Kuss meines Mundes“. und meint, das müssten drei Personen sein: Einer, der küsst. Der andere, der geküsst wird. Der dritte ist der Kuss selbst.
Genau das ist es! Der Vater drückt seine Liebe, Wertschätzung und Zärtlichkeit dem Sohn gegenüber im Kuss aus und der Sohn drückt im Kuss dem Vater seine Liebe aus. Der Kuss (Osculum) ist der Hl. Geist.
Wir sehen eine Theologie des Leibes bis in die Leiblichkeit des Kusses hinein.
Johannes Paul sagt: ”Modell jeder Liebe ist die eheliche Liebe, die ihren vollen Ausdruck in der sexuellen Vereinigung findet, aber als gegenseitige Hingabe„. Der Mann gibt sich ganz, restlos, völlig seiner Frau hin aus Liebe und in Liebe, aber nicht den anderen vereinnahmend und beanspruchend, sondern sich verschenkend, sich hingebend. Und umgekehrt, die Frau verschenkt sich an ihren Mann in restloser ganzer Hingabe und wieder nicht besitzergreifend, vereinnahmend und beanspruchend, sondern selbstlos sich verschenkend, verströmend. Das ist das Modell jeder Liebe!
Von einer Theologie des Leibes spricht Johannes Paul nicht bloß ein- bis zweimal, sondern über einen langen Zeitraum hinweg in den sogenannten Mittwochskatechesen, die der jetzige Papst (Benedikt XVI.) fortsetzt. Von Oktober 1979 bis Oktober 1984, also volle fünf Jahre hat Johannes Paul ll. Mittwochskatechesen über die Theologie des Leibes gehalten.
Diese Katechesen sind in Italien als Sammelband unter dem Titel „Als Mann und Frau erschuf er sie” – Katechesen über die menschliche Liebe erschienen. Aber wenn Johannes Paul die Wahl gehabt hätte, hätte zumindest der Untertitel geloutet ”Katechesen über die Theologie des Leibes”.
Die Behandlung dieses Themas ist damit jedoch keinesfalls abgeschlossen. Von einer Theologie des Leibes hat Johannes Paul in seinem Pontifikat ständig gesprochen. lch möchte an das Apostolische Schreiben „An die Jugend“ 1985 erinnern oder an das Apostolische Schreiben ”Uber die Würde der Frau“ 1988. Kapitel 3 und 4 sprechen vom biblischen Fundament der gleichen Würde von Mann und Frau. Wie wichtig ist das heute in der Auseinandersetzung mit dem Islam!
Zu erwähnen ist auch der „Brief an die Familien” 1994 mit den Kapiteln „Als Mann und Frau erschuf er sie“ , „Der eheliche Bund” und „Die Einheit der zwei“.
Erinnern möchte ich auch an die Predigt bei der ersten Messe in der Sixtinischen Kapelle nach der Restaurierung der beiden Bilderzyklen von Michelangelo am 8.April 1994. Michelangelos Figuren betonen ja das Leibliche und sind daher sehr ansprechend für die Theologie des Leibes.
1995 gab es einen Brief „An die Frauen“. Man kann also nicht von einem frauenfeindlichen Papst sprechen. Im Gegenteil, er war frauenfreundlich!
Aus ”Mulieris dignitatem – Über die Würde der Frauen“ 1988 möchte ich noch die schönste Ode an die menschliche Liebe zitieren, die man im Gesamtwerk Johannes Paul II. finden kann.
Nummer 10: „Im biblischen Schöpfungsbericht ist der Ausruf des ersten Menschen beim
Anblick der soeben geschaffenen Frau ein Ausruf der Bewunderung und der Verzauberung, wie er die ganze Geschichte des Menschen auf Erden durchzieht”.
Sind das nicht schöne Worte eines Papstes! Adam schaut seine soeben geschaffene Frau mit Entzücken an (Da war ja noch alles in Ordnung. Es war ja vor dem Sünden Fall) mit einem Ausruf der Bewunderung und Verzauberung: „Das endlich ist Bein von meinem Bein, Fleisch von meinem Fleisch und Blut von meinem Blut!“
Adam ist verwundert, verzaubert und fasziniert „Das durchzieht die ganze Geschichte der Menschheit auf Erden”, sagt Johannes Paul II. Das sind kühne Sätze!
Wir dürfen also entzückt sein. Das Herz darf vor Freude pochen. Wir dürfen bewundern und verzaubert sein. All das ist nicht sündhaft! Wir dürfen begeistert sein von dem, was Gott geschaffen hat.
Es ist nun notwendig, ins Detail zu gehen. Manche Frau wird heute in der Werbung als Lustobjekt präsentiert. Aber andere wieder präsenteren sich in ihrer gottgewollten ursprünglichen Schönheit, und die sollen wir dankbar bewundern und dem Schöpfer danken: „Ich danke dir, dass du diese Frau oder diesen Mann so wunderschön erschaffen hast“
Warum nicht Gottes Wunderwerke schätzen, achten und bewundern!
Im Eheritus kommt das zum Ausdruck: ”Ich will dich lieben, achten und ehren„. Diese drei Worte sind interessant! Lieben im Sinne der gegenseitigen sich verströmenden Hingabe, achten, weil du eine einmalige unwiederholbare Persönlichkeit bist. Jeder Mensch hat seine Würde, die auch in der Ehe beachtet muss. Auch der Ehepartner ist einmalig und unwiederholbar. Deshalb muss ich diese Einzigkeit und Unwiederholbarkeit meines Partners achten.
Und was muss ich ehren? Ich muss Gott im anderen ehren. In dir ist Gott, in dir ist Christus. Und ich ehre Gott, ich ehre Christus in dir.
Im Brief an die Familien findet sich folgender abenteuerlicher Blick auf das, was uns die menschliche Liebe über die Liebe Gottes zu sagen vermag. Wenn Jesus das Bild des Bräutigams verwendet um von Gott zu sprechen, zeigt er welche Väterlichkeit und welche Liebe Gottes sich in der Liebe eines Mannes und einer Frau widerspiegeln, die sich in der Ehe miteinander verbinden und, wenn sie sich aneinander verschenken und einander lieben, achten und ehren und auch Gott und Christus im Partner sehen. Wenn dem so ist, dann ist es eine Widerspiegelung Gottes. Dann spiegelt sich die Liebe Gottes wider, dann sind die Ehepartner Interpreten der Liebe Gottes (Fumiliaris consortio) Sie interpretieren die Liebe Gottes und stellen sie dar. Schon Jahre vorher hatte Johannes Paul II. im Apostolischen Schreiben „Familiaris consortio (1981) die biblische Bedeutung der Liebe zwischen Mann und Frau hervorgehoben zur Zeit des Attentates (1981): „Das im Mittelpunkt der Offenbarung stehende Wort- Gott liebt sein Volk’ – wird auch in den persönlichen Worten ausgesprochen, mit denen Mann und Frau einander ihre eheliche Liebe kundtun. Das heißt, Gott liebt sein Volk so, wie ein Mann seine Frau und eine Frau ihren Mann”.
Das berühmteste Buch Papst Johannes Paul II. zu diesem Thema heißt „Liebe und Verantwortung”. In diesem Buch sagt er sogar, dass auch die begehrende Liebe an der Liebe Gottes Anteil hat. Dos sind kühne, verwegene, aber richtige Worte!
Warum hat auch die begehrende Liebe an der Liebe Gottes Anteil? Weil Gott nach uns Menschen Sehnsucht hat. Auch in Gott gibt es eine begehrende Liebe, insofern er sich nach uns sehnt und es ihm nach uns dürstet.
Der hl. Augustinus hat die begehrende Liebe Gottes erkannt, wenn er sagt: „Die Sehnsucht Gottes ist der Mensch„. Das heißt, Gott sehnt sich nach uns, er dürstet nach uns.
Er steht an unserer Herzenstür und klopft an. ”Ich stehe an deiner Tür und klopfte an und wenn du mir öffnest, will ich bei dir einkehren und Mahl mit dir halten…”. (Offenbarung 3, 20)
Das Anklopfen ist etwas Leibliches. Anklopfen bedeutet, dass Gott an das Herz des Menschen nicht nur appelliert, sondern anpocht und anklopft, manchmal mit den zarten Kinderhändchen von Betlehem, dann wieder mit den nageldurchbohrten Händen am Kreuz. Immer wieder klopfen die Hände der Herrn an: ”Ich stehe vor deiner Tür und klopfte an. Ich habe Sehnsucht nach dir. Mich dürstet nach dir“.
Daher betont Johannes Paul II., dass auch die begehrende Liebe an der Liebe Gotts Anteil hat.
Es ist klar, dass auch der Mann bei der Frau und die Frau beim Mann anklopft, wenn sie Sehnsucht haben, sich aneinander in Liebe zu verschenken.
Bei der Herbergssuche sehen wir, wie sehr Gott anklopft. Die heilige Familie geht von Haus zu Haus, von Tür zu Tür und klopft an, ob ihr nicht jemand Herberge schenken kann.
Auch beim Kind in der Krippe sehen wir es. Es klopft an die Herzen der Sterndeuter, der Magier, der Astrologen.
Im neuen Schreiben „Spe salvi“ von Papst Benedikt XVI. heißt es: ”Dann hat alle Astrologie und Esoterik ihr Ende”. Warum? Weil der Stern von Bethlehem sich ganz nach dem Christkind richten muss und von ihm gelenkt wird. Es allein lenkt die Sterne.
lm Apostolischen Schreiben an die Jugendlichen wagt Johannes Paul ll. ganz unkonventionelle Wort: ”Ja durch diese Liebe, die in euch aufkeimt, soll ihr Gott schauen, der die Liebe selber ist. Wenn Christus sagt: Folge mir nach – kann sein Ruf bedeuten, folge mir, der ich der Bräutigam der Kirche, meiner Braut bin. Komm, werde auch du Bräutigam deiner Braut! Werde auch du Braut deines Bräutigams!”
Der Bischof bekommt bei seiner Weihe einen Ring, damit er Bräutigam seiner Braut, der
Kirche ist. Er wird mit der Kirche vermählt.
Der Papst nun weiter: „Christus hat sich wie ein Bräutigam hingegeben und lehrt jeden Bräutigam und jede Braut, sich selbst zu schenken, sich selbst hinzugeben, und zwar nach dem personalen Maß der vollen Würde jedes Einzelnen. Christus lehrt uns die bräutliche Liebe, die sich verschenkende, hingebende und verströmende Liebe. Den Weg der ehelichen Berufung einzuschlagen bedeutet, Tag für Tag und Jahr für Jahr die bräutliche Liebe zu lernen, jene Liebe, die Leib und Seele umfasst“. In der Predigt zur Wiedereröffnung der Sixtinischen Kapelle nannte Johannes Paul im Bezug auf die Nacktheit der Gestalten von Michelangelo die Kapelle ein Heiligtum der Theologie des menschlichen Leibes. Er formulierte unter anderen folgende Zusammenfassung seiner Gedanken über die Nacktheit der Stammeltern oder über das Nacktsein von Adam und Eva: „Nur in den Augen Gottes kann der menschliche Leib nackt und unbedeckt bleiben und zugleich seinen Glanz und seine Schönheit unversehrt bewahren“. Warum? Weil sich im Leib des geschaffenen Menschen die Herrlichkeit und Schönheit Gottes wiederspiegelt. Dazu fallen mir folgende Worte ein: Dem Reinen ist alles rein. Dem reinen Gott ist alles rein. So spiegelt sich die Reinheit des Schöpfers im neu geschaffenen nackten Leib des Geschöpfes wider.
Doch welchen Sinn hat es, von einer Theologie des Leibes zu sprechen? Als Antwort auf diesen Einwand erinnert der Papst an die Menschwerdung Gottes, das zentrale Geheimnis des Christentums: ”Dadurch, dass das Wort Fleisch wurde, ist der Leib, ich möchte sagen, wie durch das Hauptportal in die Theologie eingetreten, also in die Wissenschaft von den göttlichen Dingen “ (2. April 1980).
Nun möchte ich weitere Gedanken von Johannes Poul ll. über Männlichkeit und Weiblichkeit von Gesichtspunkt Gottes aus aufzeigen.
Ebenfalls 2. April 1980: „Männlichkeit und Weiblichkeit sind zwei verschiedene Inkarnationen. Es gibt zwei Arten Leib zu sein desselben menschlichen Wesens, das nach dem Bild Gottes geschaffen ist. So ist also der Mensch Ebenbild Gottes in zwei Arlen. Der Mensch in seiner Männlichkeit und Weiblichkeit ist als solcher dann Ebenbild Gottes. Die Funktion der Sexualität ist für die Person bestimmend und nicht nur ein Attribut der Person“.
Du bist ganz Frau, du bist ganz Mann. Du sollst deine Weiblichkeit und deine Männlichkeit als Ebenbild oder Abbild Gottes ganz leben und dazu jasagen.
Papst Johannes Paul II. weiter: „Die Gegenwart des weiblichen an der Seite des männlichen Elementes und ganz mit ihm verbunden, bedeutet eine Bereicherung für den Menschen in der ganzen Perspektive seiner Geschichte verstanden als Heilsgeschichte“.
Es bleibt für den Mann immer bereichernd eine Frau an seiner Seite zu haben und umgekehrt. Die Gegenwart des weiblichen an der Seite des männlichen Elementes bedeutet immer eine Bereicherung für den Menschen.
Nun einige „Blitzlichter“!
Wir sehen Maria an der Seite des Johannes unter dem Kreuz. Er nahm sie zu sich. Wir sehen Maria die neun Tage von Christi Himmelfahrt bis Pfingsten an der Seite des Petrus, des ersten Papstes. sie betet mit ihm um den hl. Geist.
Die Männer haben sich nicht gescheut, Maria an ihrer Seite zu haben. Die Frau, wie sie im Johannesevangelium betitelt wird. Joh. 2, 19
Gen. 3,15 – Feindschaft setze ich zwischen dich, Schlange und die Frau.
Apok. 12 – Die sonnenbekleidete Frau, den Mond unter den Füßen und der Drache.
Gal. 4, 4 – Geboren von einer Frau!
Gott scheut sich nicht seine Männer, seine Apostel immer wieder an die Seite der Frau Maria zu stellen.
Um es noch konkreter zu sagen: Die Samariterin am Jakobsbrunnen – die Frau an der Seite des Herrn, oder Maria Magdalena, die Sünderin – die Frau an der Seite des Herrn.
Und schließlich, um die Geschichte der Heiligen ein wenig zu strapazieren: Assisi – die Frau Klara von Assisi an der Seite des Franziskus. Oder die Frau Johanna Franziska von Chantal an der Seite des Franz von Sales und die Frau Mutter Teresa an der Seite Johannes Paul II. Es bedeutet eine Bereicherung. Er hat ganz bewusst zu seinem 25-jährigen Papstjubiläum 2003 Mutter Teresa seliggesprochen. Das war sein Jubiläumsgeschenk, um uns zu zeigen, dass die Frau an der Seite des Mannes eine Bereicherung ist+ in der ganzen Perspektive der Heilsgeschichte.
Vielleicht die gewagteste Formulierung zum Thema der Theologie des Leibes findet sich in dem Buch „Die Schwelle der Hoffnung überschreiten“ S.74, wenn der Papst die Erlösung so Zusammenfasst: Als Mann und Frau erlöste er sie.
Das findet sich auch beim hl. Bernhard. Er liebte auch die Theologie des Leibes und sagte schon den Novizen: „Wenn du dich an die Brust deiner Mutter erinnerst, die dich genährt und zärtlich an sich gedrückt hat und du müchtest wieder nach Hause gehen, dann lauf in die Kapelle und umarme Christus. Er wird dir Vater, Mutter, Bruder und Schwester sein“.
Das ist Theologie des Leibes.
Als Mann und Frau erlöste er sie, und so erlöst er uns bis heute. Du wirst auch in ihm Männliches und Weibliches finden. Sehr schön hat das Rembrandt im Bild vom „Verlorenen Sohn“ (Eremitage in St. Petersburg) dargestellt Der Vater umarmt zärtlich den heimgekehrten verlorenen Sohn. Eine Hand ist weiblich, die andere männlich. Als Mann und Frau erlöst er sie. Männliches und Weibliches in den Händen des Vaters!
In seinen Mittwoch-Katechsen interpretiert Johannes Paul II. die Sprache des Leibes wie die Liebenden sie im Augenblick ihrer gegenseitigen Hingabe verstehen in einer Art wiedergewonnener Unschuld der ursprünglichen Nacktheit. Er sagt folgendermaßen“Die Worte der Liebe, die von beiden gesprochen werden, konzentrieren sich auf den Leib, nicht nur weil er die Quelle gegenseitiger Faszination dargestellt, sondern auch und vor allem weil auf ihm direkt und unmittelbar jene Anziehungskraft der anderen Person, des anderen Ich, ob weiblich oder männlich beruht, die den inneren Antrieb des Herzens, die Liebe entstehen lässt„.
Ein klares Wort! Der Leib des anderen mit seiner Anziehungskraft erweckt im Inneren im Herzen die Liebe, ja, lässt im inneren Antrieb des Herzens die Liebe entstehen. Und weiter Johannes Paul ll. : „Die Worte – sie waren nackt, aber schämten sich nicht – können und müssen verstanden werden als Offenbarung und zu gleich Wiederentdeckung der Freiheit, die den ehelichen Sinn des Leibes ermöglicht und kennzeichnet„.
In seinem Jugendwerk „Liebe und Verantwortung“ hat er von der Absorption der Scham
durch die Liebe gesprochen. Die Scham wird durch die Liebe absorbiert. Wenn es eine echte, eheliche, sich verschenkende und hingebende Liebe ist, wird die Scham absorbiert.
Sehen wir, so spricht ein Papst! Ich bin froh, dass er so offen spricht. So kann man wirklich nicht von einer „prüden“ Kirche sprechen. Diese anthropologische und psychologische Tiefe findet sich bei Johannes Poul ll. auch, wenn er eher beiläufige Bemerkungen über Sexualität als Sprache der Liebe macht. Hier ein Beispiel. Bei der Ansprache zum „Angelus“ („Engel des Herrn“) um 26. Juni 1994: „Die Sexualität ist eine Ausdrucksweise der Liebe und kann deshalb nicht als reine Triebhaftigkeit gelebt werden“. Und so ist es! Es gibt die Triebhaftigkeit und es gibt die echte Sexualität als Ausdrucksweise der sich verströmenden, ehelichen, hingebenden Liebe.
Die Theologie des Leibes ist in der gegenwärtigen theologischen Diskussion ein Ausdruck, der auf die Wiedergewinnung einer positiven Bewertung der Sexualität und die Wertschätzung der Zärtlichkeit in der sexuellen Beziehung anspielt. Diese beiden Elemente sind im Traum Wojtyłas von einer Theologie des Leibes im Überfluss vorhanden. Aber in noch größer Freiheit sind sie in seinen Gesten zu erklären. Die menschliche Nähe und Zärtlichkeit, die Johannes Paul II. bei seinen Begegnungen mit allen möglichen Gesprächspartnern zum Ausdruck zu bringen vermag, sind nicht nur eine natürliche Gabe, sondern auch die Frucht einer langen Erziehung zur Selbstbeherrschung und schlagen sich wie Reflexe in seiner Theologie des Leibes nieder. Wir müssen die Gestik und die Mimik Johannes Pauls im Lichte seiner Schriften interpretieren und die Schriften lesen, indem wir sie mii seinen Gesten illustrieren.
Wir könnten von einem Kapitel seines Buches „Liebe und Verantwortung“ (1960) ausgehen, das den Titel „Zärtlichkeit und Sinnlichkeit“ trägt; auch mit dem Brief vom 7. April 1995 an alle katholischen Priester „Über die Bedeutung der Frau im Leben des Priesters“. Wir könnten diese Schriften in einem autobiografischen Sinn lesen und viele Aussagen seiner Verkündigung vor allem an die Jugendlichen darin einflechten.
Er schreibt: ”Die Zärtlichkeit hat ihre Daseinsberechtigung nur in der Liebe. Die Zärtlichkeit ist die Kunst des Menschen den Menschen als Ganzen zu fühlen, seine ganze Person, selbst die verborgensten Regungen seiner Seele und dabei stets an sein wahres Wahl zu denken. Das Wesen der Zärtlichkeit besteht in der Tendenz, sich in den Seelenzustand eines anderen hineinzuversetzen, sich hineinzufühlen, aber es ist nicht reine Freundlichkeit und Gefühlsduselei. Die wahre menschliche Liebe muss zwei Elemente vereinen: die Zärtlichkeit und eine gewisse Festigkeit, denn man darf nicht vergessen, dass die menschliche Liebe auch Kampf bedeutet (Kampf gegen übersteigerte Leidenschaft). Wer noch mehr wissen möchte, den weise ich auf eine weitere Stelle im Buch „Liebe und Verantwortung“ hin, ein Buch, das Wojtyla als Priester und Bischof geschrieben hat. Er war damals 37 bis 40 Jahre alt. In diesem Buch ist sicher etwas von seinem ungezwungenen und respektvollen Umgang mit Frauen niedergeschlagen. Er schreibt: „Die Zärtlichkeit entsteht aus dem Erfassen des Seelenzustandes des anderen und möchte ihm mitteilen, wie sehr man sich ihm nahe fühlt. Das Gefühl bringt seiner Natur nach die Menschen näher. So entsteht das Bedürfnis, dem anderen unsere innerliche Nähe mitzuteilen und deshalb äußert sich die Zärtlichkeit in verschiedenen Akten, die diese Nähe zum Ausdruck bringen: in der Geste, jemanden an sich zu drücken, ihn zu umarmen oder sich einfach bei ihm einzuhängen oder in bestimmten Formen des Kusses.“
Schauen wir die vielen Bilder an, auf denen Johannes Paul II. Arme, Kranke, Bedürftige, Notleidende in den Slums und Favelas an sich drückt, umarmt und auf die Stirne küsst.
Das ist die Sprache der Theologie des Leibes, der Zärtlichkeit, die sich in den anderen hineinfühlt, hineindenkt und ihm so zeigt, ich verstehe dich, ich bin dir ganz nahe.
Nun verstehen wir, warum vier Millionen Menschen zu seinem Begräbnis gekommen sind. Es hat noch nie ein so großes Begräbnis in der Kirchengeschichte gegeben. Jeder
wusste, er versteht mich, er hat sich in mich hinein gefühlt.
Lieber Pater Bernhard,
so wunderbar haben Sie das Thema präsentiert. Gott segne Sie für die Verkündigung.