Vortrag

Prof. P. Dr. Bernhard Vošicky OCist: „Glaube und Vernunft (fides et ratio) – die zwei Flügel der Seele zu Gott“, Vortrag 2

Fasteneinkehrtag für die Gebetsgemeinschaft der Freunde des Heiligen Kreuzes Vortrag 2 am 4. Fastensonntag 1O. März 2013 gehalten von Prof. P. Subprior Dr. Bernhard Vošicki OCist Im 1. Vortrag haben wir schon anhand der Enzyklika des heiligen Johannes Paul II. erkannt, dass „Fides et ratio“ letztlich zwei Flügel der Seele zu Gott sind.   Es gibt eine natürliche und eine übernatürliche Erkenntnis. Die natürliche Erkenntnis kommt mit Hilfe unserer fünf Sinne Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten und der menschlichen Vernunft mit den drei Seelenkräften Verstand, Wille und Gedächtnis zustande. Man erkennt beispielsweise, wo man sich befindet. Hören wir dazu den schönen Text der Enzyklika von Papst Johannes Paul II.: „So kann sich unsere natürliche Erkenntnis Gottes einer übernatürlichen Erkenntnis öffnen“. Wir können ja aus den Dingen der Natur auf den Schöpfer schließen. Auch Menschen, die nie in die Kirche gehen, gelingt dies! Aber dazu muss die übernatürliche Erkenntnis kommen. Durch die Anerkennung und Annahme der Göttlichen Offenbarung kann die menschliche Vernunft zur Fülle der Wahrheit gelangen. Vernunft allein ist zu wenig. Man braucht noch den Glauben an das, was Jesus uns mitteilt und an das, woran Gott uns erinnert. Man gelangt zur Fülle der Wahrheit über das Geheimnis Gottes und auch über sich selbst. Woher komme ich? Wohin gehe ich? Was erwartet mich? Der heilige Papst Johannes Paul II. möchte uns zeigen, dass die Offenbarung des Geheimnisses Gottes in Christus auch eine unübertreffliche Offenbarung des Geheimnisses des Menschen darstellt. Diese Offenbarung, die Selbstmitteilung Gottes hat im österlichen Geheimnis seines Kreuzestodes und seiner Auferstehung ihren Höhepunkt erreicht. Hier teilt sich Gott mit, wie er ist. Das Geheimnis der Passion, das Geheimnis des Todes am Kreuz und der Auferstehung Christi ist die Offenbarung, die Selbstmitteilung, Erschließung und Enthüllung der letzten Wahrheit, auch über das Geheimnis der menschlichen Person. Was bedeutet das? „Wenn du an Mich glaubst, wenn du Mir vertraust, wenn du dich Mir anschließt“, sagt Jesus, dann wirst du nicht nur sterben, sondern auch auferstehen. Wenn du mit Mir in das Leiden und in den Tod gehst, hat der Tod nicht das letzte Wort, sondern du gehst durch Leid und Kreuz hindurch zum Licht, zur Auferstehung und zur Fülle des Lebens“. Jesus ist auch der Schlüssel für unsere menschliche Person, für unser menschliches Geheimnis, für unser Dasein und unsere menschliche Existenz. Für viele Menschen ist das Kreuz ein Skandal. In der Fachsprache der Theologie wird es „scandalum crucis“ genannt. Das Kreuz ist Ärgernis oder anstößiges Zeichen des Widerspruches. Neulich teilte mir eine Frau mit: „ich kann doch in meiner Wohnung nicht einen nackten Mann an die Wand hängen!“ Der 1. Korintherbrief 22-24 zeigt, dass das Kreuz schon immer ein Ärgernis war: „Die Juden fordern ein Zeichen, die Griechen suchen die Weisheit. Wir Christen dagegen verkünden Christus als den Gekreuzigten. Für die Juden ist er ein empörendes Ärgernis, für die Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, ist Christus Gottes Kraft und Gottes Weisheit“.   Als Freunde des Heiligen Kreuzes müssen wir die Antwort des Glaubens, das Kreuz Christi, näher unter die Lupe nehmen. Das Kreuz übersteigt (transzendiert) alle Systeme des menschlichen Denkens. Das Kreuz übersteigt unendlich die Systeme der menschlichen Logik. Um die letzte Wahrheit über das Geheimnis des Menschen erkennen zu können, muss die Vernunft sich dem Übernatürlichen, der Transzendenz öffnen. Das Kreuz ist etwas noch nie Dagewesenes. In keiner Religion lässt sich ein Gott für Menschen kreuzigen. Das gibt es weder im Buddhismus, noch im Hinduismus und auch nicht im Judentum und im Islam. Wie kann sich Gott für uns kreuzigen lassen? Das ist eine völlig überraschende und noch nie dagewesene Wirklichkeit, eine Realität, die auf dem ersten Blick als etwas Törichtes erscheint. Die heidnischen Römer haben ihre christlichen Brüder und Schwestern ausgelacht und verspottet. In Rom gibt es am Palatin ein Spottkruzifix. Es wird ein christlicher Soldat dargestellt, wie er zum Gekreuzigten betet. Der Gekreuzigte ist ein Esel. Der dumme Christ betet einen Esel am Kreuz an. Auf den ersten Blick ist das Kreuz etwas Törichtes, weil es alle unsere weltlichen Vorstellungen übersteigt. Die menschlichen irdischen natürlichen Vorstellungen werden im Kreuz überholen. Das Geheimnis vom Kreuz, das Geheimnis von der unendlichen Liebe Gottes als Geheimnis der totalen Selbsthingabe übersteigt unser menschliches Denkvermögen. Was ist das Großartige des Kreuzes? Großartig ist, dass Jesus Christus, unser Herr und Gott sagt: Es gibt nichts Größeres als das Leben. Ich bin die Fülle des Lebens. Weil ich dich, Mensch liebe, weil du meine große Liebe bist, weil du meine erste und letzte, ja meine endgültige Liebe bist, gebe ich das Wertvollste und Kostbarste für dich hin, nämlich das Leben. Ich schenke dir mein göttliches Leben, meine Lebensfülle. Alles, was ich habe und alles, was ich bin, gebe ich für dich Mensch hin, obwohl du Sünder und verdunkelt und weil weg von mir bist, bei den Schweinen. „Alles, was mein ist, ist dein!“ (Lk. 15, 31). Gott möchte uns alles schenken, auch sein Leben. Daher löst er sich von der Sünde der Welt ans Kreuz nageln. Freiwillig nimmt er alles Böse, alle Sünden der Menschheit von Adam und Eva bis zum Jüngsten Tag aus Liebe auf sich, um sie fortzuschaffen, damit unsere Verneblungen und Verdunkelungen der Vernunft und des Glaubens gelöst werden und wir zum Glauben kommen. Gott nimmt alles, was unseren Glauben und unsere Vernunft verwundet und verdunkelt hat, weg. All das nimmt er uns ab und trägt es ans Kreuz und stirbt für uns, damit wir das Leben in Fülle haben und unser Leben glückt und sinnvoll wird. Alles Belastende nimmt er uns ab, damit wir entlastet, frei, gerettet, geheilt und erlöst werden. Jesus schenkt uns den Zugang zum Vater. „Wer mich sieht, sieht den Vater“ (Joh. 14, 9). Ich möchte, dass alle ins Haus des Vaters gelangen. Dort sind viele Wohnungen. Ich gehe hin, um euch einen Platz zu bereiten. Jesus schenkt uns seinen Geist, den Geist der Liebe. Er schenkt uns seine Mutter Maria. Alles schenkt er her. Nichts behält er für sich. Er schenkt uns seine Kirche, die sein Leib ist. Er ist

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Prof. P. Dr. Bernhard Vošicky OCist: „Glaube und Vernunft (fides et ratio) – die zwei Flügel der Seele zu Gott“, Vortrag 1

Fasteneinkehrtag für die Gebetsgemeinschaft der Freunde des Heiligen Kreuzes Vortrag 1 am 4. Fastensonntag 1O. März 2013 gehalten von Prof. P. Subprior Dr. Bernhard Vošicki OCist Thema: „Glaube und Vernunft (fides et ratio) – die zwei Flügel der Seele zu Gott“ (Heiliger Johannes Paul II.) Liebe Freunde des Heiligen Kreuzes, wir haben uns zum Einkehrtag in der Fastenzeit im Jahr des Glaubens versammelt. Unser Thema heute lautet: Glaube und Vernunft, die zwei Flügel der Seele zu Gott, der Ewigen Wahrheit. Diese Formulierung stammt vom heiligen Papst Johannes Paul II. Das Thema klingt ein wenig philosophisch, und wir werden uns jetzt auch auf höhere Philosophie einstellen müssen. Der heilige Papst Johannes Paul II. hat im Jahr 1998, am 14.September – am Fest Kreuzerhöhung eine Enzyklika mit dem Titel „Fides et ratio“ herausgegeben. Als Freunde des Heiligen Kreuzes müssen wir das Thema „Glaube und Vernunft“ im Zusammenhang mit dem Kreuzesgeheimnis, dem österliches Geheimnis (Pascha – Mysterium) auch behandeln.   Ich darf mit folgender Feststellung beginnen: die menschliche Freiheit vollendet sich in der Wahrheit. Jeder Mensch hat eine unsterbliche Seele von Gott geschenkt bekommen. Die Seele hat „Appetit“ und Sehnsucht nach Gott. Sie wünscht nichts anderes als sich wieder mit ihrem Ursprung zu vereinen. Die unsterbliche Seele haben nicht unsere Eltern hervorgebracht, sie ist Gnade und Geschenk Gottes. Wir dürfen dankbar sein, dass wir nicht nur irdische Erzeuger, sondern auch einen himmlischen Vater haben, der uns die unsterbliche Seele geschenkt hat, die Sehnsucht nach ihm hat, die auch weiß, woher sie kommt – nämlich von Gott, und wohin sie gehen wird. Da die Seele unsterblich ist, kommt sie aus der Ewigkeit Gottes und gelangt wieder dorthin. Da Gott die ewige Wahrheit ist, soll der Mensch die Wahrheit suchen und auch finden, auch die Wahrheit über sich selbst. Schon die alten Griechen haben an das Orakel von Delphi die Worte „Erkenne dich selbst“ geschrieben. Gotteserkenntnis und wahre Selbsterkenntnis hängen zusammen. „In der Tiefe des menschlichen Herzens besteht die Sehnsucht nach der absoluten Wahrheit und das Verlangen in den Vollbesitz ihrer Erkenntnis zu gelangen immer weiter“, schreibt der heilige Johannes Paul II. schon am Anfang seiner Enzyklika „Veritatis splendor – Abglanz der Wahrheit“. Ist der Mensch fähig die Wahrheit zu erkennen? Wie kann der Mensch die Wahrheit suchen und finden? Auf diese Fragen gibt der Papst in seiner Enzyklika „Fides et ratio“ Antwort. Er sagt „Glauben und Vernunft sind wie die beiden Flügel mit denen sich der menschliche Geist zur Betrachtung der Wahrheit erhebt“. Unsere Seele hat Flügel! Meine Wahlgroßmutter Gertraud Reinberger, Angehörige der Sezessionisten, einer Künstlergruppe in Wien, malte einmal auf einem Bild einen ganz kleinen Menschen mit riesigen Flügeln. Ein Bild des Jugendstils! Darunter schrieb sie: die Flügel der Seele. Unsere Geistseele hat Flügel. Die beiden Flügel heiße Fides (Glaube) und Ratio (Vernunft). Mit ihnen streben wir nach der ewigen Wahrheit, nach Gott. Der menschliche Geist kann sich zur Betrachtung der ewigen Wahrheit, zu Gott erheben. Warum sind wir oft so „flügellahm“? Warum sind wir so in den Erdboden verliebt? Die Schwerkraft drückt uns zu Boden. Aber die Seele erhebt sich zu Gott, ja sie schwebt Gott entgegen. Der Geist kann sich von der Erde zu Gott erheben. Daher heißt es in der Liturgie: „Erhebet die Herzen! Wir haben sie beim Herrn!“ Es ist durchaus möglich in der Liturgie der Kirche im Gottesdienst das Herz und damit die menschliche Seele zu Gott zu erheben mit Hilfe der beiden Flügel „Glaube und Vernunft“. Das Streben die Wahrheit und letztlich ihn selbst zu erkennen hat Gott dem Menschen ins Herz gesenkt, damit er dadurch, dass er Gott erkennt und liebt auch zur vollen Wahrheit über sich selbst gelangen kann (Fides et ratio 1). Wir kommen nicht nur zur Gotteserkenntnis durch Glaube und Vernunft, sondern auch zur wahren Selbsterkenntnis. Die Frage nach der Wahrheit ist das Bindeglied zwischen beiden Enzykliken, die der selige Papst Johannes Paul II. herausgegeben hat. – „Veritatis splendor“ (Abglanz der Wahrheit) und „Fides et ratio“ (Glaube und Vernunft). In Veritatis splendor zeigt Johannes Paul II. wie die Wahrheit die Freiheit des Menschen formt. Der willensfreie Mensch wird durch die ewige Wahrheit geformt, damit er ein richtiges Format bekommt. In „Fides et ratio“ möchte der Papst zeigen, wie die Wahrheit den Verstand des Menschen erleuchtet. Normalerweise sind wir nicht erleuchtet und haben oft dunkle Gedanken. Wenn uns aber der Hl. Geist entflammt, werden unsere Gedanken lichtvoll. Die Wahrheit Gottes erleuchtet unseren Verstand. So sagt der heilige Papst Johannes Paul II.: „Es besteht die Notwendigkeit des Nachdenkens über die Wahrheit. Sie muss neu bekräftigt werden“ (Fides et ratio 6). Die Kirche ist seit dem Ostertag, wo sie die letzte Wahrheit über den Menschen als Geschenk des Auferstandenen empfangen hat, zur Pilgerin auf den Straßen der Welt geworden, um zu verkünden, dass Jesus Christus der Weg, die Wahrheit und das Leben ist (Joh.l4, 6 und Fides et ratio 2).   Was bedeutet das? Jesus Christus, Gott und Mensch zugleich, ist nicht nur ein Weg von vielen, sondern er ist der Weg, weil er auch die Wahrheit ist. Er ist das Leben und nicht ein Angebot von vielen Lebensformen. Jesus Christus, unser Herr und Gott ist Weg und Wahrheit und Leben in Person. Leben ist nicht nur eine Sache, sondern eine Person, ein Du, ein Vis-a-vis. Das Leben schaut uns mit zwei Augen an. Es hört uns mit zwei Ohren. Das Leben spricht mit einem Mund zu uns. Das Leben begegnet uns im auferstandenen Christus. Das Leben umarmt uns und zieht uns an sein Herz. Du begegnest Jesus Christus und damit begegnest du dem Leben. Du begegnest Jesus Christus und damit die Wahrheit. Auch die Wahrheit ist keine Sache, keine philosophische Spekulation, sondern auch sie ist eine Person. Jesus sagt: „Ich bin die Wahrheit“ (Joh. 14, 6). Die ewige Wahrheit kann den Glanz des Himmels und die Herrlichkeit Gottes am Kreuz und bei der Auferstehung ausstrahlen. Denken wir an das Kreuz in unserer Kreuzkirche in Heiligenkreuz! Wir werden es heute wieder verehren. Es hat einen goldenen Strahlenkranz, weil es die Herrlichkeit des Himmels ausstrahlen möchte. Gold ist die

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Prof. P. Dr. Bernhard Vošicky OCist: Theologie des Leibes nach Johannes Paul II., Vortrag 2

Adventeinkehrtag für die Gebetsgemeinschaft der Freunde des Heiligen Kreuzes am 2. Adventsonntag,  9. Dezember 2007 gehalten von Prof. P. Dr. Bernhard Vošicky OCist 2. Vortrag Heiliger Josef, in unserer Not kommen wir zu dir und bitten voll Vertrauen um deinen Schutz. Du warst in Liebe mit der unbefleckten Gottesmutter Maria verbunden und hast väterlich für Jesus gesorgt. Darum bitten wir dich: Sieh auf das Volk, das Jesus Christus mit seinem Blut erworben hat und hilf uns mit deinem mächtigen Beistand! Du Beschützer der Heiligen Familie, wache über das Haus Gottes! Halte fern von uns alle Ansteckung durch Irrtum und Verderbnis! Du starker Helfer, steh uns bei in dem Kampf mit den Mächten der Finsternis! Du, heiliger Josef, hast das Jesuskind aus der Lebensgefahr errettet, so verteidige jetzt die heilige Kirche Gottes gegen den bösen Feind und seine Verführung! Nimm uns in deinen Schutz, dass wir noch deinem Beispiel mit deiner Hilfe heilig leben, selig sterben und das ewige Leben erlangen! Amen! Papst Benedikt XVI. hat am 8. Dezember 2007, am Fest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria beim Angelus folgende Worte gesprochen: „Wir machen leider die Erfahrung, dass die heranwachsenden Jugendlichen und sogar Kinder zu 0pfern von entstellten Formen der Liebe werden. Verführt von skrupellosen Erwachsenen, die sich selber etwas vor machen und sie in die ausweglose Sackgasse des Konsumismus führen. Selbst heiligste Dinge wie der menschliche Leib, der Tempel Gottes, der Liebe und des Lebens werden so zu Konsumobjekten“. Hier ist der Punkt: der Leib des Menschen, der ein Tempel Gottes, ein Tempel des hl. Geistes ist, also etwas Heiligstes, darf nicht Konsumobjekt sein. Du darfst deinen Leib nicht verkaufen, weder an Mitmenschen noch an den Satan. Der Papst weiter: “Diese Skrupellosigkeit gegenüber den Leibern junger Menschen geschieht jetzt immer früher, manchmal sogar vor der Pubertät. Wie traurig ist es, wenn Kinder das Staunen verlernen gegenüber dem Zauber der schönsten Gemütsregung und die Wertschätzung des Körpers verlorengeht, der Ausdruck der Person und seines unergründlichen Geheimnisses ist. Der absolute Wert der Liebe muss geschützt werden. Ich denke an die jungen Menschen heute, die aufgewachsen sind in einem Umfeld, das übersättigt ist von falschen Glücksverheißungen. Diese Mädchen und Jungen riskieren die Hoffnung zu verlieren, weil sie häufig zu Waisen der wahren Liebe werden, die dem Leben Sinn und Freude schenken“. Aktueller kann man es zu unserem heutigen Thema nicht sagen! Oft kommen junge Menschen zu mir, bei denen ich spüre, dass sie einen Vater brauchen. Auf meine Frage, ob sie einen Vater haben, verneinen sie und sagen, dass sie diesen nie gesehen hatten. Die Mutter haben ihnen noch nie von ihm erzählt. Oder andere sagen: Ja, ich habe kurz einen Vater gehabt, oder meine Mutter hat inzwischen schon mehrere andere Lebensabschnittspartner gefunden. Diese Jugendlichen suchen nach einem Vater. Auf meine Frage, wie war denn der Vater zu dir, höre ich: der eine war sehr streng, der andere hat überhaupt nur distanziert mit mir gesprochen. Ich frage weiter: Hat dich dein Vater einmal geküsst? Nein! Hat er dich umarmt? Nein! Hai er dich an sein Herz gezogen und dich auf seinen Schoß gesetzt? Nein! Viele kennen diese Gesten nicht. Es fehlen nicht nur Gesten und Worte, es ist eine vaterlose Gesellschaft. Alexander Mitscherlich hat mit seinem Buch „Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft“ wohl Recht. Es ist kein Wunder, dass nun der hl. Vater Papst Johannes Paul II. genau dieses Defizit, diesen Mangel erkannt hat und sehr bewusst die Möglichkeit geschenkt hat, ihn als geistlichen Vater zu verehren und zu schätzen. Jedes Jahr schreibt der Papst zum Gründonnerstag einen Brief an die Priester. Johannes Paul II. hat diese Gepflogenheit lückenlos durchgehalten. Jeden Gründonnerstag gab es einen Brief an die Priester. Der 15. dieser Briefe ist der persönlichste und reizvollste, weil er eine sehr offene Sprache führt. Da heißt es: „Um in reifer und froher Weise im Zölibat zu leben, erscheint es vor allem wichtig, dass der Priester tief in sich selbst das Bild der Frau als Schwester entwickelt”. Wir haben im 1. Vortrag am Vormittag gesehen, dass Johannes Paul ll. im Umgang mit den Frauen Unbefangenheit und Zärtlichkeit an den Tag legt, die uns immer wieder überrascht. Er möchte, dass alte Priester diese Unbefangenheit und Zärtlichkeit aufbringen. Deshalb hat er diesen Brief geschrieben, in dem er sich auf die Anweisungen beruft, die der Apostel Paulus seinem Schüller Timotheus, der Bischof in Ephesus war, in seinem ersten Brief gegeben hat. 1 Tim 5, 2: „Ältere Frauen sollst du wie Mütter und jüngere wie Schwestern behandeln, in aller Zurückhaltung“. Johannes Paul ergänzt diese Lehre, in dem hinzufügt, dass der ältere Priester die Mädchen wie Töchter behandeln soll, weil sein Dienst echter geistlicher Vaterschaft ihm Söhne und Töchter im Herrn verschafft. Das Bild der Frau als Mutter, Schwester und als Tochter im Sinne einer echten geistlichen Vaterschaft – das hat Johannes Paul gelebt und deshalb waren auch 4 Millionen Menschen bei seinem Begräbnis. Alle seine geistlichen Söhne und Töchter, die nur irgendwie Zeit und Geld aufbringen konnten, haben ihn aufgesucht. Bis heute stehen Menschenschlangen, um an sein Grab zu gelangen. Oft muss man lange Wartezeiten in Kauf nehmen. Johannes Paul II. findet eindrucksvolle Wort, um diese schwierige hochstehende Beziehung der Frau als Schwester zu artikulieren: „Ohne Zweifel stellt die Schwester eine besondere Manifestation der geistigen Schönheit der Frau dar. Aber sie ist gleichzeitig die Offenbarung ihrer Unberührbarkeit“. Berührend sind die Worte, die er der unverheirateten Frau widmet, die lernt sich als Schwester zu schenken und so eine besondere geistige Mutterschaft entwickelt. Dies gilt auch für die Ordensfrauen. Wenn sich die Ordensfrauen als Schwestern allen Menschen schenken, entwickeln sie eine besondere Form geistiger Mutterschaft. So übte Mutter Teresa ihre geistige Mutterschaft weltweit und universal aus. Sie kennen vielleicht den neuen Leiter der Missio Austria – Päpstliche Missionswerke in Österreich, Dr. Leo Maasburg. Er war lange Zeit Begleiter von Mutter Teresa, wenn sie in ferne Länder gefahren ist, um wieder eine Niederlassung der Schwestern der Nächstenliebe zu gründen. Sie wollte verständlicherweise als Frau allein einen Priester in ihrer Nähe haben. Da sehen wir wieder die Notwendigkeit

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