Betrachtung

Gottes Liebe und ihr Geheimnis

Geistliche Betrachtungen zu den Enzykliken des hl. Johannes Pauls II. – Teil 4 Der heilige Papst Johannes Paul II.; Foto: Wikimedia Am 30. November 1980 veröffentlicht Papst Johannes Paul II. seine zweite Enzyklika – „Dives in misericordia„. Von Aspekten und Dimensionen der göttlichen Barmherzigkeit schreibt er. Mensch und Welt bräuchten Gottes Erbarmen so sehr, so der Heilige Vater. Heute ist das nicht anders als vor mehr als 40 Jahren. So scheint diese Enzyklika nicht zeitlich eingehegt zu sein, mehr noch: Einmal mehr entdecken wir, wie sehr der große Heilige den Blick weitet auf das Große, auf das Gute hin, wie klar, lichtvoll und ermutigend er von Gottes Liebe spricht. Der heilige Johannes Paul II. hofft, dass die Enzyklika Gottes Barmherzigkeit neu bewusst machen würde, ja dass die Sehnsucht nach dem liebenden Vater zu einem „inständigen Gebet der Kirche“ würde. In Jesus Christus offenbart sich die Barmherzigkeit des Vaters, in seinem „Lebensstil“ wie in seinen „Taten“, als „wirkende Liebe …, die sich dem Menschen zuwendet und alles umfängt, was sein Menschsein ausmacht“.  In der Kraft dieser Liebe begegnet Jesus den Leidenden: „Der messianischen Botschaft über das Erbarmen eignet somit eine besondere göttlich – menschliche Dimension. Christus wird in Erfüllung der messianischen Prophetien die Inkarnation jener Liebe, welche mit besonderer Eindringlichkeit in ihrer Zuwendung zu den Leidenden, den Unglücklichen und den Sündern sichtbar wird; er macht so den Vater, den Gott »voll Erbarmen«, gegenwärtig und in größerer Fülle offenbar. Dabei wird er für die Menschen zugleich das Modell der erbarmenden Liebe zum Nächsten und verkündet so durch die Taten noch mehr als durch seine Worte den Aufruf zum Erbarmen, der eines der wesentlichen Elemente des evangelischen Ethos ist. Es geht hier nicht nur um die Befolgung eines Gebotes oder einer sittlichen Norm, sondern um die Erfüllung einer Grundvoraussetzung dafür, daß Gott dem Menschen sein Erbarmen erweisen kann: »Die Barmherzigen … werden Erbarmen finden«.“ Barmherzigkeit ist nicht zu verwechseln mit einer weltlichen Milde, die letztlich nicht Ausdruck göttlicher Liebe, sondern einer lauen Gleichgültigkeit wäre. Wer alles versteht und verzeiht, mag sogar die Botschaft der Erlösung zurechtschneiden und preisgeben – nämlich dann, wenn Menschen mitten in der Kirche beginnen, den ihnen anvertrauten Schatz neu zu modellieren. Die Versuchung der Apostasie, gerade auch in Fragen der Moral, hat es zu allen Zeiten der Kirche gegeben – auch wir können das heute wieder bezeugen. Die Barmherzigkeit zeigt Gottes Güte, in ihrer Hoheit wie in ihrer liebevollen Fürsorge, und damit ist sie allen menschlichen Versuchen entgegengesetzt, die Lehre der Kirche zu verbilligen, säkular neu zu erfinden und in eine Apologie der Beliebigkeit umzuwandeln. Der heilige Johannes Paul II. greift auf das Gleichnis vom verlorenen Sohn zurück, um das göttliche Erbarmen zu erläutern: „Nachdem der verlorene Sohn das vom Vater erhaltene Vermögen aufgebraucht hat und ins väterliche Haus zurückgekehrt ist, kann er nur beanspruchen, sich seinen Lebensunterhalt als Tagelöhner verdienen zu dürfen und eventuell nach und nach zu einem gewissen materiellen Besitz zu kommen, der in seiner Größe aber vielleicht nie mehr an den heranreichen wird, den er verschleudert hat. Mehr kann er nicht beanspruchen in der Ordnung der Gerechtigkeit, umso weniger, als er nicht nur den ihm zustehenden Vermögensanteil vergeudet, sondern durch sein ganzes Verhalten auch den Vater verletzt und beleidigt hat.“ Der Vater leidet unter dem Verhalten des Sohnes. Doch wie verhält sich der Vater? Es geht ihm nicht um sich, nicht um den Schmerz, den er selbst erlitten hat, sondern um die Beziehung zu dem Sohn, eine Beziehung, die „durch keinerlei Verhalten gestört oder getroffen werden“ könne. Der verlorene Sohn weiß das. Er kann nichts fordern, nichts erwarten. Seine Rückkehr heißt auch: Darf ich trotz all meiner Verfehlungen, meiner Sünden dein Sohn sein und bleiben? Was der heimgekehrte, einst verlorene Sohn nun erleben darf, ist unbeschreiblich schön und tiefgründig erzählt. Der barmherzige Vater ist dem geliebten Sohn treu. Von dieser Treue spricht Johannes Paul II.: „Der Vater des verlorenen Sohnes ist seiner Vaterschaft treu, ist der Liebe treu, mit der er seit jeher seinen Sohn beschenkt hat. Diese Treue kommt im Gleichnis nicht nur in der sofortigen Bereitschaft zum Ausdruck, mit der er den heimkehrenden Sohn, der das Vermögen verschleudert hat, aufnimmt; sie kommt noch mehr in der überströmenden, großzügigen Freude über den heimgekehrten Verschwender zum Ausdruck, deren Ausmaß sogar den Widerspruch und Neid des älteren Bruders hervorruft, der sich nie vom Vater abgewendet und sein Haus nicht verlassen hatte.“ Er ist auch großzügig, hat Mitleid mit ihm und die Zuneigung zu ihm nicht verloren: „Mag dieser auch das Vermögen verschleudert haben, sein Mensch-Sein ist heil geblieben. Ja, es wurde sozusagen wiedergefunden. Das bezeugen die Worte des Vaters an den älteren Sohn: »Jetzt müssen wir uns doch freuen und ein Fest feiern, denn dein Bruder war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden«.“ Von außen betrachtet verstehen wir, dass der Bruder empört ist – er, der nie fortgelaufen ist, beurteilt rational und neidisch die festliche Wiederkehr. Die Freude des Vaters ist eine innere Form der Liebe: „Solche Liebe ist fähig, sich über jeden verlorenen Sohn zu beugen, über jedes menschliche Elend, vor allem über das moralische Elend: die Sünde. Wenn das geschieht, fühlt sich der, dem das Erbarmen zuteil wird, nicht gedemütigt, sondern gleichsam wiedergefunden und »aufgewertet«. Der Vater läßt ihn in erster Linie spüren, wie groß seine Freude ist, daß er »wiedergefunden wurde« und »wieder lebt«. Diese Freude weist auf ein unverletztes Gut hin: ein Sohn hört nie auf, in Wahrheit Sohn seines Vaters zu sein, selbst dann nicht, wenn er sich von ihm trennt; sie weist darüber hinaus auf ein wiedergefundenes Gut hin: im Fall des verlorenen Sohnes die Rückkehr zur Wahrheit über sich selbst.“ Die Liebe lässt sich nicht äußerlich bestimmen oder verrechnen. Die „Beziehung des Erbarmens“ zwischen Vater und Sohn „beruht auf der gemeinsamen Erfahrung jenes Gutes, das der Mensch ist, auf der gemeinsamen Erfahrung der ihm eigenen Würde“: „Diese gemeinsame Erfahrung führt dazu, daß der verlorene Sohn sich und seine Taten in der vollen Wahrheit zu sehen beginnt (dieses Sehen in Wahrheit ist echte Demut)

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Die „Königswürde“ des Christen

Geistliche Betrachtungen zu den Enzykliken des hl. Johannes Pauls II. – Teil 3 Christus, der wahre König, mit musizierenden Engeln, gemalt von Hans Memling um 1480; Foto: Wikimedia (CC0) In selbstbezüglichen Debatten in der Kirche – nicht nur in Deutschland – werden Macht-, Gestaltungs- und Reformansprüche formuliert und erhoben, was nicht nur narkotisch ist, sondern auch dem Sendungsauftrag zuwiderläuft. Stärker als in der Nachkonzilszeit vernehmen Gläubige und Suchende unverständlicherweise bisweilen auch aus bischöflichem Mund Aussagen, die mit dem Glauben und der Lehre der Kirche nicht übereinstimmen. Selten hören wir Worte darüber, wozu der Christ in der Welt von heute berufen ist – zu einer okkulten Pauschalkritik an der Kirche und zu einem emotionalen Lamento ganz sicher nicht. Ein wichtiger Abschnitt der Enzyklika „Redemptor hominis“ ist der „Teilnahme an der königlichen Sendung Christi“ gewidmet. Johannes Paul II. spricht von der „besonderen Würde unserer Berufung“, die „»Königswürde«“ genannt werden könnte: „Diese Würde drückt sich aus in der Bereitschaft zum Dienst nach dem Beispiel Christi, der »nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen«. Wenn man also im Licht dieser Haltung Christi nur wirklich »herrschen« kann, indem man »dient«, verlangt »das Dienen« gleichzeitig eine solche geistige Reife, die man geradezu als »herrschen« bezeichnen muß. Um würdig und wirksam den anderen dienen zu können, muß man sich selbst zu beherrschen vermögen, muß man jene Tugenden besitzen, die diese Beherrschung ermöglichen.“ Der Papst macht sogleich deutlich, dass die „Teilnahme an der königlichen Sendung Christi“ nicht gelöst werden kann von „jedem Bereich der christlichen und zugleich menschlichen Moral“. Gegen den Trend der Zeit – heute noch dominanter als 1979 – bekräftigt er, dass das Bild des Volkes Gottes nicht allein von „soziologischen Voraussetzungen abgeleitet“  werden dürfe: „Die Kirche als menschliche Gesellschaft kann natürlich auch nach solchen Kriterien untersucht und bestimmt werden, deren sich die Wissenschaften jeder beliebigen menschlichen Gesellschaft gegenüber bedienen. Doch reichen diese Kriterien nicht aus. Für die Gemeinschaft des Volkes Gottes als ganze und für jedes ihrer Glieder geht es aber nicht nur um eine besondere »soziale Zugehörigkeit«; hier handelt es sich um eine besondere »Berufung«, die für jeden einzelnen und für alle zusammen wesentlich ist. Die Kirche ist nämlich als Volk Gottes … auch der »Mystische Leib Christi«.“ Johannes Paul II. gesteht „Mängel“ in der Gemeinschaft der Kirche in ihrer weltlichen Gestalt zu, betont aber zugleich das Merkmal, das von soziologischen Erhebungen nie erfasst werden kann. Die Glieder der Kirche, Kleriker wie Weltchristen, seien gerade dadurch Gemeinschaft, dass alle mit Christus verbunden seien, „wenigstens dadurch, daß sie in ihrer Seele das unauslöschliche Merkmal eines Christen tragen“. Der heilige Papst würdigt nachkonziliare Initiativen, auch „synodaler“ Art“. Doch „jede Initiative“ könne einzig „der echten Erneuerung der Kirche“ dienen, wenn sie dazu „beiträgt, das wahre Licht Christi zu verbreiten“. Dass die unverbrüchliche Treue zur Lehre der Kirche dazugehört, ist selbstverständlich. Die „Königswürde“ des Christen ist untrennbar mit Selbstbeherrschung und Dienst verknüpft. Der heilige Johannes Paul II. bekräftigt den Wert der „Treue zur eigenen Berufung“. Das gilt für den Weltchristen wie für den Kleriker. Jeder sei berufen, an seinem Platz in der Welt den „»königlichen Dienst«“ zu tun, „dessen Beispiel und schönstes Modell uns von Jesus Christus gegeben worden ist“. Es ist Seine Kirche, in der wir zum Dienst bestellt sind, nicht unsere Kirche, die wir neu gestalten oder gar neu erfinden sollen: „Seine Kirche, die wir alle zusammen bilden, ist »für die Menschen« da in dem Sinne, daß wir, wenn wir uns auf Christi Beispiel stützen und mit der uns von ihm erworbenen Gnade mitarbeiten, jene »Herrschaft« erreichen und so in jedem von uns unser Menschsein voll entfalten können.“ Der Mensch habe das „Geschenk der Freiheit“ erhalten. Doch wie nutzt er diese Freiheit? Heute scheint in einigen Bereichen der Fundamentaltheologie ein abweichendes Verständnis zu bestehen. Wir Katholiken glauben aber nicht an die unbedingte Autonomie des Menschen, sondern an Gott und die Kirche. Wer den Weg in eine unklare Emanzipation des Ichs und eine vermeintliche Selbstgestaltung des Lebens wählt – und so lebt, wie es ihm beliebt, der begibt sich in die Knechtschaft der Sünde: „In unserer Zeit ist man mitunter der irrtümlichen Meinung, daß die Freiheit Selbstzweck sei, daß jeder Mensch dann frei sei, wenn er die Freiheit gebraucht, wie er will, und daß man im Leben der einzelnen und der Gesellschaft nach einer solchen Freiheit streben solle. Die Freiheit ist jedoch nur dann ein großes Geschenk, wenn wir es verstehen, sie bewußt für all das einzusetzen, was das wahre Gute ist. Christus lehrt uns, daß der beste Gebrauch der Freiheit die Liebe ist, die sich in der Hingabe und im Dienst verwirklicht.“ Die Kirche ist also nicht dazu bestimmt, ein Verein der unverbindlichen Nettigkeit zu sein, säkular sympathisch, substanzlos und überflüssig, sondern die Kirche des Herrn, also die Stiftung Jesu Christi. Die Kirche kennt darum auch nicht 1001 Wahrheiten, sondern nur die eine Wahrheit, die Christus selbst ist. Die Kirche – und damit Sie und ich – soll nur die Frohe Botschaft verkünden. Johannes Paul II. widerspricht jeder Apologie des Existenzialismus. Es geht ihm um die Verteidigung der Wahrheit über die Freiheit des Menschen. Darum schreibt er: „Die volle Wahrheit über die menschliche Freiheit ist im Geheimnis der Erlösung tief verwurzelt. Die Kirche dient wahrhaft der Menschheit, wenn sie diese Wahrheit mit unermüdlicher Aufmerksamkeit, starker Liebe und verantwortungsbewußtem Einsatz schützt und sie innerhalb der gesamten eigenen Gemeinschaft durch die Treue zur Berufung eines jeden Christen weitervermittelt und im Leben konkretisiert.“ Quelle: CNA Deutsch, 13. Februar, 2021  Autor: Dr. Thorsten Paprotny

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