Prof. P. Dr. Bernhard Vošicky OCist: „Glaube und Vernunft (fides et ratio) – die zwei Flügel der Seele zu Gott“, Vortrag 2

Fasteneinkehrtag für die Gebetsgemeinschaft der Freunde des Heiligen Kreuzes

Vortrag 2

am 4. Fastensonntag 1O. März 2013

gehalten von

Prof. P. Subprior Dr. Bernhard Vošicki OCist

Im 1. Vortrag haben wir schon anhand der Enzyklika des heiligen Johannes Paul II. erkannt, dass „Fides et ratio“ letztlich zwei Flügel der Seele zu Gott sind.

 

Es gibt eine natürliche und eine übernatürliche Erkenntnis.

Die natürliche Erkenntnis kommt mit Hilfe unserer fünf Sinne Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten und der menschlichen Vernunft mit den drei Seelenkräften Verstand, Wille und Gedächtnis zustande. Man erkennt beispielsweise, wo man sich befindet.

Hören wir dazu den schönen Text der Enzyklika von Papst Johannes Paul II.:

„So kann sich unsere natürliche Erkenntnis Gottes einer übernatürlichen Erkenntnis öffnen“.

Wir können ja aus den Dingen der Natur auf den Schöpfer schließen. Auch Menschen, die nie in die Kirche gehen, gelingt dies! Aber dazu muss die übernatürliche Erkenntnis kommen. Durch die Anerkennung und Annahme der Göttlichen Offenbarung kann die menschliche Vernunft zur Fülle der Wahrheit gelangen. Vernunft allein ist zu wenig. Man braucht noch den Glauben an das, was Jesus uns mitteilt und an das, woran Gott uns erinnert.

Man gelangt zur Fülle der Wahrheit über das Geheimnis Gottes und auch über sich selbst.

Woher komme ich? Wohin gehe ich? Was erwartet mich?

Der heilige Papst Johannes Paul II. möchte uns zeigen, dass die Offenbarung des Geheimnisses Gottes in Christus auch eine unübertreffliche Offenbarung des Geheimnisses des Menschen darstellt. Diese Offenbarung, die Selbstmitteilung Gottes hat im österlichen Geheimnis seines Kreuzestodes und seiner Auferstehung ihren Höhepunkt erreicht. Hier teilt sich Gott mit, wie er ist. Das Geheimnis der Passion, das Geheimnis des Todes am Kreuz und der Auferstehung

Christi ist die Offenbarung, die Selbstmitteilung, Erschließung und Enthüllung der letzten Wahrheit, auch über das Geheimnis der menschlichen Person.

Was bedeutet das? „Wenn du an Mich glaubst, wenn du Mir vertraust, wenn du dich Mir anschließt“, sagt Jesus, dann wirst du nicht nur sterben, sondern auch auferstehen. Wenn du mit Mir in das Leiden und in den Tod gehst, hat der Tod nicht das letzte Wort, sondern du gehst durch Leid und Kreuz hindurch zum Licht, zur Auferstehung und zur Fülle des Lebens“.

Jesus ist auch der Schlüssel für unsere menschliche Person, für unser menschliches Geheimnis, für unser Dasein und unsere menschliche Existenz.

Für viele Menschen ist das Kreuz ein Skandal. In der Fachsprache der Theologie wird es „scandalum crucis“ genannt. Das Kreuz ist Ärgernis oder anstößiges Zeichen des Widerspruches.

Neulich teilte mir eine Frau mit: „ich kann doch in meiner Wohnung nicht einen nackten Mann an die Wand hängen!“

Der 1. Korintherbrief 22-24 zeigt, dass das Kreuz schon immer ein Ärgernis war: „Die Juden fordern ein Zeichen, die Griechen suchen die Weisheit. Wir Christen dagegen verkünden Christus als den Gekreuzigten. Für die Juden ist er ein empörendes Ärgernis, für die Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, ist Christus Gottes Kraft und Gottes Weisheit“.

 

Als Freunde des Heiligen Kreuzes müssen wir die Antwort des Glaubens, das Kreuz Christi, näher unter die Lupe nehmen. Das Kreuz übersteigt (transzendiert) alle Systeme des menschlichen Denkens. Das Kreuz übersteigt unendlich die Systeme der menschlichen Logik.

Um die letzte Wahrheit über das Geheimnis des Menschen erkennen zu können, muss die Vernunft sich dem Übernatürlichen, der Transzendenz öffnen. Das Kreuz ist etwas noch nie Dagewesenes. In keiner Religion lässt sich ein Gott für Menschen kreuzigen. Das gibt es weder im Buddhismus, noch im Hinduismus und auch nicht im Judentum und im Islam.

Wie kann sich Gott für uns kreuzigen lassen? Das ist eine völlig überraschende und noch nie dagewesene Wirklichkeit, eine Realität, die auf dem ersten Blick als etwas Törichtes erscheint.

Die heidnischen Römer haben ihre christlichen Brüder und Schwestern ausgelacht und verspottet. In Rom gibt es am Palatin ein Spottkruzifix. Es wird ein christlicher Soldat dargestellt, wie er zum Gekreuzigten betet. Der Gekreuzigte ist ein Esel. Der dumme Christ betet einen Esel am Kreuz an.

Auf den ersten Blick ist das Kreuz etwas Törichtes, weil es alle unsere weltlichen Vorstellungen übersteigt.

Die menschlichen irdischen natürlichen Vorstellungen werden im Kreuz überholen. Das Geheimnis vom Kreuz, das Geheimnis von der unendlichen Liebe Gottes als Geheimnis der totalen Selbsthingabe übersteigt unser menschliches Denkvermögen.

Was ist das Großartige des Kreuzes? Großartig ist, dass Jesus Christus, unser Herr und Gott sagt: Es gibt nichts Größeres als das Leben. Ich bin die Fülle des Lebens. Weil ich dich, Mensch liebe, weil du meine große Liebe bist, weil du meine erste und letzte, ja meine endgültige Liebe bist, gebe ich das Wertvollste und Kostbarste für dich hin, nämlich das Leben. Ich schenke dir mein göttliches Leben, meine Lebensfülle. Alles, was ich habe und alles, was ich bin, gebe ich für dich Mensch hin, obwohl du Sünder und verdunkelt und weil weg von mir bist, bei den Schweinen. „Alles, was mein ist, ist dein!“ (Lk. 15, 31).

Gott möchte uns alles schenken, auch sein Leben. Daher löst er sich von der Sünde der Welt ans Kreuz nageln. Freiwillig nimmt er alles Böse, alle Sünden der Menschheit von Adam und Eva bis zum Jüngsten Tag aus Liebe auf sich, um sie fortzuschaffen, damit unsere Verneblungen und Verdunkelungen der Vernunft und des Glaubens gelöst werden und wir zum Glauben kommen. Gott nimmt alles, was unseren Glauben und unsere Vernunft verwundet und verdunkelt hat, weg. All das nimmt er uns ab und trägt es ans Kreuz und stirbt für uns, damit wir das Leben in Fülle haben und unser Leben glückt und sinnvoll wird. Alles Belastende nimmt er uns ab, damit wir entlastet, frei, gerettet, geheilt und erlöst werden.

Jesus schenkt uns den Zugang zum Vater. „Wer mich sieht, sieht den Vater“ (Joh. 14, 9).

Ich möchte, dass alle ins Haus des Vaters gelangen. Dort sind viele Wohnungen. Ich gehe hin, um euch einen Platz zu bereiten.

Jesus schenkt uns seinen Geist, den Geist der Liebe.

Er schenkt uns seine Mutter Maria. Alles schenkt er her. Nichts behält er für sich. Er schenkt uns seine Kirche, die sein Leib ist. Er ist das Haupt und die Kirche ist sein Leib. Er schenkt uns die Schöpfung. Er schenkt uns seine Engel. Alles was er ist und was er hat, verschenkt er an uns. Damit wir reich werden, wird er arm. Wenn wir reich beschenkt sind, müssen wir doch glücklich sein.

So ist der gekreuzigte Sohn Gottes das geschichtliche Ereignis, an dem jeder Versuch des Verstandes scheitert, auf rein menschlichen Argumenten einen ausreichenden Beleg für das Dasein aufzubauen. Der wahre Knotenpunkt, der die Philosophie herausfordert, ist der Tod Jesu am Kreuz, denn hier ist jeder Versuch den Heilsplan des Vaters auf rein menschliche Logik zurückzuführen zum Scheitern verurteilt.

Mit rein menschlicher Vernunft verstehst du das Kreuz nicht! Du musst seine Selbstmitteilung, seine Offenbarung, sein Schenken an dich im Glauben und Vertrauen annehmen.

Für das, was Gott verwirklichen möchte, genügt nicht bloß die Weisheit des weisen Menschen, vielmehr ist ein entschlossener Übergang zur Annahme von etwas völlig Neuem gefordert.

Das Törichte in der Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zuschanden zu machen. Das Niedrige und Verachtete hat Gott erwählt: das, was nichts ist, um das, was etwas ist, zu vernichten (1. Kor 1, 27 – 28).

Es gilt, das Ärgernis des Kreuzes im Glauben und Vertrauen anzunehmen. Das anstößige Zeichen des Widerspruches sollen wir annehmen, ja gleichsam umarmen und an das Herz drücken. Manche Menschen hängen sich deshalb ein Kreuz um den Hals. Ich trage auch eines.

Da werden Kreuz und Tod Jesu zu Quellen des Lebens und zum Schlüssel der Liebe.

Papst Johannes Paul II. sagt in seiner Enzyklika „Fides et ratio“ 23: „Die Weisheit des Menschen lehnt es ab, in ihrer Schwachheit die Voraussetzung für ihre Stärke zu sehen“. Aber der hl. Paulus zögert nicht zu bekräftigen: „Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“. (2 Kor12, 10)

Dem schwachen und armseligen Menschen begegnet der Gekreuzigte und sagt: „Schau, ich bin auch schwach geworden um deinetwillen. Ich kenne deine Schwachen und Armseligkeilen. Ich weiß, dass dein Verhallen und deine Sünden zum Tod führen. Ich habe diesen Tod auf mich genommen. Jetzt, da du ganz in die Schwäche deiner Sündhaftigkeit hineinbegeben hast, bin ich deine Stärke und Kraft, dein Retter und Erlöser und dein befreiender Arzt, dein Heiland“.

Der verlorene Sohn gelangt zu den Schweinen, zum „Sautrog“ der Sünde. Es geht ihm so elendig, dass er nicht einmal die Schweinenahrung aufnehmen kann. In dieser Schwache begegnet ihm der barmherzige Vater und hall ihn aus dem Tod zum Leben, aus der Verlorenheit zur wiedergewonnenen Freude.

 

 

Der Mensch vermag nicht zu begreifen, wie der Tod die Quelle von Leben und Liebe sein kann.

Aber Gott hat gerade das für die Enthüllung des Geheimnisses seines Heilsplanes erwählt, was die Vernunft als Torheit und Ärgernis ansieht. Die Vernunft des Menschen kann das Geheimnis, dass das Kreuz darstellt, nicht der Liebe entleeren. Was heißt das? Der gläubige Mensch erkennt im Kreuz die Liebe. Er erkennt, dass in dem Kreuz die Liebeszuwendung Gotts zu uns enthalten ist: „Ich sterbe für dich, ich gebe mein Leben für dich, ich gebe alles, was ich bin und alles, was ich habe für dich hin. Ich schenke dir die Fülle des Lebens, sodass nicht der Tod das letzte Wort hat, sondern das Leben. Ich schenke dir die ewige Wahrheit, damit nicht der Vater der Lüge siegt“.

Das Kreuz kann der Vernunft die letzte Antwort geben, nach der sie sucht. Die Weisheit des Kreuzes überwindet daher jede kulturelle Grenze, die man ihr auflegen will und verpflichtet dazu, sich der Universalität der Wahrheit, deren Trägerin sie ist, zu öffnen.

Welche Herausforderung ergibt sich da für unsere Vernunft? Welchen Nutzen zieht sie daraus, wenn sie sich dem geschlagen gibt? Das Verhältnis von Glaube und Philosophie trifft in der Verkündigung vom gekreuzigten und auferstandenen Christus an eine Felsenklippe, an der es Schiffbruch erleiden kann.

Der Vergleich, den Papst Johannes Paul II. in „Fides et ratio 23“ bringt, ist sehr schön: Das Kreuz als Felsenklippe. Du kommst mit deinem Glauben, mit deiner Vernunft zum Gekreuzigten. Wer vertrauend die Liebe des Gekreuzigten erkennt, ist gerettet. Wer nicht glaubt, erleidet Schiffbruch und zerschellt an der Felsenklippe des Kreuzes. Wenn wir die Felsenklippe des Kreuzes annehmen, dann kann jenseits dieser Klippe der Glaubende in das unendliche Meer der Wahrheit eintauchen.

Die göttliche Offenbarung des Kreuzes ist für den Menschen nicht das Ende seines Nachdenkens, sondern wie ein neuer Anfang, der kein Ende kennt. Vernunft und Philosophie stoßen an das Kreuz als Skandal (scandalum), als Ärgernis, als anstößiges Zeichen des Widerspruches.

Der Glaubende aber forscht immer weiter und sucht nach der Wahrheit. Er wird nie aufhören, diese Wahrheit immer besser kennenzulernen. Der Gläubige wird immer ein Forscher bleiben.

Daher sind wir als Freunde des Heiligen Kreuzes auf der richtigen Spur. Wir bleiben Forscher.

Wir groben weiter und gehen in die Tiefe. Wir steigen in sein geöffnetes Herz am Kreuz und erkennen dort seine abgrundliefe Liebe. „Du liebst mich, auch wenn ich in der Sünde stecke, ja gerade dann, wenn ich tief im Schlamm der Sünde herumwühle“.

Der gläubige Mensch hört nicht auf, auch wenn er sündigt, diese Wahrheit immer besser zu erforschen und kennen zulernen (Fides et ratio 21). Seine Öffnung für das Geheimnis, die ihm von der Offenbarung zukommt, ist für ihn die Quelle einer wahren Erkenntnis, die seiner Vernunft das Eintauchen in die Räume des Unendlichen erlangt.

Wenn du das Kreuz und das geöffnete Herz betrachtest, wenn du auf den Angenagelten und Durchbohrten schaust, dann wirst du in der Tiefe seiner Person und seines Herzens die Raume des Unendlichen entdecken.

Und nun ein Salz von Thomas von Aquin aus der „Summa theologiae“: „Gratia supponit naturam.

– Die Gnade setzt die gesunde Natur voraus“. Die alten Griechen und Lateiner sagten: „Mens sona in corpore sano. – Ein gesunder Geist ist in einem gesunden Körper“.

Die Gnade und Zuwendung Gottes baut auf der gesunden Natur auf und veredelt sie.

Wie die Gnade die Natur voraussetzt und vollendet, so setzt der Glaube die Vernunft voraus und vollendet sie. Die Natur des Menschen wird durch Gottes Zuwendung und durch Gottes Gnade vollendet. Die Vernunft (ratio) des Menschen wird durch den Glauben, die Hingabe und das Vertrauen an Gott vollendet.

Vom Glauben erleuchtet wird die Vernunft von ihrer Gebrechlichkeit befreit und geheilt.

Der Mensch kann in die Sünde fallen, so wie der verlorene Sohn. Er bekommt die Hälfte des Vermögens des Vaters als Erbanspruch. Doch er vergeudet das gesamte erhaltene Vermögen.

Es ist ihm vernünftig vorgekommen. Man denke an die Spaß- und Wellnessgesellschaft von heute! Die Vernunft muss erst vom Glauben, der Glaubenshingabe und dem Vertrauen auf Gott erleuchtet werden. Danach wird die Vernunft vom Ungehorsam der Sünde befreit. Der Glaube gibt der Vernunft die nötige Kraft, um sich zur Erkenntnis des Geheimnisses vom dreieinigen Gott zu erheben. Der Glaube vollendet die Vernunft und die Gnade Gottes vollendet die Natur.

Soweit auch „Fides et ratio 43“ und Thomas von Aquin!

Der Glaube fordert die Vernunft dazu heraus, ausjedweder Isolation herauszutreten.

Man hört öfter, dass sich viele vernünftige Menschen in ihrem Vernunftgebrauch „einigeln“, isolieren. Es gibt heute in der Welt viele Singles, denen der Sozialbezug fehlt. Sie haben keine Freunde, sie leben keine Hingabe an Menschen und auch keine Hingabe an Gott.

Die Vernunft kennt auch die Gefahr sich zu isolieren. Der Glaube und die Glaubenshingabe an ein Du eines Mitmenschen oder Gottes reißt die Vernunft aus der Isolation, aus der Vereinzelung heraus. So wird der Glaube zum überzeugten und überzeugenden Anwalt der Vernunft. (Fides et ratio 56). Der Glaube hilft in eine Gemeinschaft von glaubenden und vertrauenden Menschen einzutreten. Und das ist die Kirche – Gemeinschaft von Gläubigen, Gemeinschaft von Menschen, die nicht isoliert, sondern als Einheit und Gemeinschaft an Gott glauben.

Da liegt nun die Aufgabe der Theologen. Hier in Heiligenkreuz haben wir eine philosophisch – Theologische Hochschule. Theologe wird jeder Mensch, der den Inhalt der Offenbarung im Glauben empfängt, lebt und sich bemüht, den Inhalt der Offenbarung mit seiner Vernunft immer besser zu verstehen und zu formulieren.

Es genügt auf das Kreuz zu schauen, um zu erkennen: „Du liebst mich so sehr, dass du alles Übel, alle Bosheit und Gemeinheit dieser Welt freiwillig, aus Liebe auf dich nimmst, um mich davon zu befreien, zu erlösen, zu retten und zu heilen. Wenn du mir aus Liebe alles abgenommen hast und ich ganz frei bin, dann schenkst du mir die letzte Vollendung, das letzte Glück, die ewige Herrlichkeit“.

Ohne die Selbstmitteilung Gottes durch das österliche Geheimnis des Kreuzes und der Auferstehung könnten wir nicht wissen, wer Gott in sich selbst ist. Deshalb muss die Theologie um wirklich Theologie zu sein, das heißt, um das Geheimnis Gottes zu erforschen und in Worten auszudrücken, immer das ganze Geheimnis der erlösenden Menschwerdung und den Höhepunkt von Kreuz und Auferstehung Christi betrachten. Nur so kann die Theologie zum Geheimnis Gottes selbst zum Geheimnis der Dreifaltigkeit Zugang finden.

Die Theologie ist ein Forschen nach der letzten Wahrheit. Die Theologie muss die Augen auf die letzte Wahrheit richten: „Schau auf den Herrn! Schau auf den Durchbohrten! Erkenne doch, deine Sünden haben ihn durchbohrt, deine Sünden haben ihn angenagelt! Jede Lieblosigkeit von dir, die du in diese Welt gesetzt hast, ist ein Geiselhieb oder ein Lanzenstich für den Herrn oder ein Nagel für seine Hände oder Füße, oder ein Spott, eine Verschmähung oder Verachtung“.

„Ich habe es erduldet, was du verschuldet hast“, heißt es in einem Kirchenlied (Gotteslob 179).

Nicht die Juden damals, nicht die Römer, nicht Pontius Pilatus, nicht der hohe Rat Hannos und Kaiaphas, sondern wir haben Jesus ans Kreuz genagelt. Die geringste Lieblosigkeit, auch das kleinste nicht Vergebenwollen oder nicht Verzeihenkönnen, Hass, Missgunst, Bosheit, Kränkung, Beleidigung, all das trifft den Herrn. Das sind seine Verwundungen, auch seine Striemen, durch die wir geheilt sind, weil Jesus alles aus Liebe auf sich genommen hat.

Das eigentliche Objekt des Forschens der Theologie ist der lebendige Gott und sein in Jesus Christus geoffenbarter Heilsplan. Allein in Christus ist es möglich die Fülle der rettenden Wahrheit zu erkennen (Fides et ratio 99). Dos Hauptziel, das die Theologie anstrebt, besteht darin, das Verständnis der Offenbarung und den Glaubensinhalt darzulegen. Daher müssen wir bei der Menschwerdung Gottes beginnen. Da er unser Fleisch und Blut annimmt, wird er versuchbar. Unser Fleisch und Blut versucht uns oft zur Sünde. Jesus nimmt das Fleisch der Sünde an, sündigt aber selbst nicht. Er überwindet die Sünde. Er lässt Versuchungen zu, aber er erliegt den Versuchungen nicht. Er überwindet die Versuchung, und damit hilft er uns auch die Versuchungen des Fleisches zu besiegen.

Was ist das Kreuz? Johannes Paul II. sagt: „Es ist die Hingabe Gottes an uns aus Liebe ohne etwas einzufordern“. Er schenkt sich uns aus Liebe. Er gibt sich uns hin, ohne etwas einzufordern. Er verlangt nichts von uns. Er hofft nur, dass du seine Liebe annimmst, sie umarmst und diese Liebe akzeptierst. Wir nennen das die Entäußerung Gottes, die Kénosis. Ein anderes Wort wäre „die Verarmung“. Gott wird ganz arm. Er verarmt, damit du reich wirst. Er schenkt alles her, um dich zu bereichern.

lm Philipperbrief 2, 6-11 ist das nachzulesen. Christus war Gott gleich. Er halle die Herrlichkeit des Himmels, die Herrlichkeit der ewigen Wahrheit, den wunderbaren Liebensaustausch zwischen Vater, Sohn und Hl. Geist. Er war im Himmel unendlich glücklich. Normalerweise würde man sagen: Wenn er doch im Himmel so glücklich ist, dann soll er doch dort bleiben und dieses Glück genießen. Aber nein! Christus springt in den Staub dieser Well. Er springt in den Schlamm der Sünde. Er tauscht das unendliche Glück und den Himmel gegen eine schmutzige, sündhafte Welt ein.

Paulus sagt dazu: „Christus war Gott gleich, er hielt aber nicht daran fest wie an einem Stück, das man erbeutet hat. Er hielt auch nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich.

Er „verschleuderte“ alles an uns. Seinen ganzen Reichtum und die Fülle des Glücks gibt er preis und setzt sich für uns ein, weil er uns so liebt, aus ungeschuldeter Liebe, ohne etwas einzufordern. Es ist ein Sich – Verströmen, weil er uns liebt.

Paulus setzt fort: „Er wurde wie ein Sklave, den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen. Er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.

Danach hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihr Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt, Jesus Christus ist der Herr zur Ehre Gottes, des Vaters“ (Philipperbrief 2, 6 – 11). Dieser Hymnus weist auf die Verarmung Gottes hin. Die „Verarmung Gottes“ ist ein schönes Wort vom heiligen Johannes Paul II.

Gott hat und gezeigt, dass er uns unendlich liebt. Die Armut Christi am Kreuz ist Ausdruck seiner Liebe: „Ich habe nichts mehr. Mensch, hast jetzt alles. Ich habe den allerletzten Platz in dieser Welt. Himmel und Erde gehören dir, Mensch. Ich hänge angenagelt am Kreuz zwischen Himmel und Erde. Du, sündiger Mensch hast jetzt alles. Ich habe dir alles gegeben. Ich habe dir alles zur Verfügung gestellt, mehr kann ich nicht. Aber ich fordere nichts von dir. Es hängt nun an dir. Nimmst du es an? Glaubst du daran? Vertraust du darauf? Ich habe alles für dich getan.

Mehr kann ich nicht! Ich hänge arm zwischen Himmel und Erde, entblößt und nackt, damit du bekleidet bist mit dem himmlischen Reichtum, milder Liebe und Barmherzigkeit, mit der Güte Gottes, damit du die Fülle des Lebens und des Glücks hast. Ich will nicht das Glück im Himmel allein besitzen, sondern ich möchte es dir sündigen Menschen schenken. Ich will das Glück mit dir teilen. Ja, ich gebe dir das himmlische Glück und tausche es gegen die irdische Existenz.

Die unermessliche Verarmung, die Gott uns am Kreuz zeigt, ist unendliche Liebe: „Ich werde arm, damit du, Mensch reich wirst. Ich werde nackt und bloß am Holz des Kreuzes, damit du mit dem ewigen Glück, dem Leben in Fülle bekleidet wirst“.

Christus ist arm geworden, weil er uns alles gegeben hat. Die Armut Christi, sein Leiden und Tod am Kreuz sind Ausdruck der Liebe Gottes, der sich ganz und gar hingibt. Sie ist Offenbarung und Enthüllung, dass Gott in sich selbst Liebe ist. Liebe verschenkt alles und gibt sich selbst ganz, ohne etwas dafür haben zu wollen und ohne etwas einzufordern.

Die Hingabe Gottes zu den Menschen zeigt, dass Gott in sich selbst Hingabe ist, und zwar empfangende und verschenkende Liebe. Die Liebe, die Jesus vom Vater und vom heiligen Geist empfangen hat, verschenkt er an uns, sündige Menschen weiter. Er will nichts für sich, aber alles für uns haben.  Nichts für mich, alles für dich! Empfangene und verschenkte Liebe, Totale Hingabe!

Zum Schluss darf ich noch aus der ersten Enzyklika von Papst Johannes Paul II. aus dem Jahre 1978 vorlesen:

Redemptor hominis 10: Der Mensch kann nicht ohne Liebe leben, der Mensch kann nicht ohne Liebe sein. Er bleibt für sich selber ein unbegreifliches Wesen; sein Leben ist ohne Sinn, wenn ihm nicht die Liebe gezeigt wird, wenn ihm die Liebe nicht geoffenbart wird, wenn ihm nicht die Liebe enthüllt wird, und wenn er nicht der Liebe Gottes begegnet wenn er sie nicht erfährt und sich zu eigen macht, wenn er nicht lebendigen Anteil an ihr erhält.

Gott hat seine Liebe enthüllt. Gott hat seine Liebe mitgeteilt im österlichen Geheimnis des Kreuzes und der Auferstehung Christi. Da ist sie verwirklicht.

In Gott, der die Liebe ist, enthüllt sich die Berufung des Menschen zur Liebe. Das heißt, zur totalen Hingabe, zur totalen Verschenkung, zum Sich Verströmen, zur Selbstpreisgabe.

Der Mensch wird erst dann wirklich Mensch, wenn er es dem Herrn, seinem Gott gleichtut, wenn er sich auch ganz hingibt, wenn er sich auch total verschenkt.

Der Mensch wird erst dann zu einer Persönlichkeit, zu einem Ausgereiften, wenn er sich selbst verschenkt und sich verstromt. Nicht Selbstverwirklichung, sondern Selbstpreisgabel Erst wenn wir uns total dem Vater im Himmel und dem Nächsten hingeben, werden wir Christus ähnlich und glücklich sein.

Schau als Freund des Heiligen Kreuzes noch einmal auf das Kreuz! Mach es wie der Herr! Mach es wie Jesus Christus. Schenke dich ganz mit allen, was du bist und was du hast, dem Vater im Himmel und deinem Nächsten, und du wirst glücklich sein! Du wirst dein Menschsein sinnvoll leben. Die höchste Verwirklichung des Menschseins liegt in der Wahrheit und Weisheit der Liebe des Kreuzes, in der totalen Hingabe an Gott und an die Mitmenschen.

Am Kreuz des Lammes wird offenbart. Christus ist das geduldige Lamm, das geschlachtet wurde. Das Lamm gibt sich hin und lasst sich bis zum letzten Tropfen ausbluten.

Und nun der Abschluss der Enzyklika „Fides et ratio“ 107:

Alle Freunde des Kreuzes Jesu bitte ich, sich intensiv um den Menschen zu kümmern, den Christus im Geheimnis seiner Liebe gerettet hat. Verschiedene philosophische Systeme haben den Menschen durch Täuschung überzeugt, dass er sein absolut eigener Herr sei: „Kräfte hast du, also vertraue ausschließlich auf dich selbst und auf deine eigenen Kräfte!“ Aber diese Ideologien haben zum Unheil geführt. Das wird niemals die Größe des Menschen ausmachen.

Bestimmend für seine Verwirklichung wird nur die Entscheidung sein, sich dadurch in die Wahrheit einzufügen, dass der Mensch im Schallen der Weisheit seine Wohnung errichtet.

Errichte deine Wohnung im Schallen der Weisheit und bleibe dort wohnen!

Erst in diesem Wahrheitshorizont wirst du begreifen, wie sich deine Freiheit am vollsten entfaltet.

Du wirst erkennen, dass du zu dieser Liebe und zur Erkenntnis Gottes gerufen bist. Darin liegt deine höchste Selbstverwirklichung.

Nur die Gnade Gottes kann im Leben des Menschen diese höchste Selbstverwirklichung ermöglichen. Deshalb ist uns der Heilige Geist gegeben, der Geist der Wahrheit, der Geist der Freiheit und der Liebe, damit wir am österlichen Geheimnis des Kreuzes und der Auferstehung wirklich teilnehmen und im Schellen dieses Lebensbaumes ruhen.

Liebe Freunde des Heiligen Kreuzes, ruht euch aus im Schallen dieses Lebensbaumes! Legt euch im Schallen dieses Lebensbaumes nieder und erkennt, dass er euch bis zur Vollendung und bis zum letzten Blutstropfen liebt. Er gibt bis zum letzten Blutstropfen alles für dich her. Im Schallen dieses Lebensbaumes wirst du das Leben haben und es in Fülle haben. Ruhe aus im Schallen des Lebensbaumes des rettenden Kreuzes, das dir das Paradies öffnet. lm Schallen der Weisheit, im Schallen des Lebensbaumes, im Schallen des rettenden Kreuzes öffnet sich dir das ewige Paradi

Der Vortragsstil wurde beibehalten. „Seliger“ Johannes Paul II. wurde durch „heiliger“ Johannes Paul II. ersetzt.

 

 

 

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